Ethan Allen Andrews,Solomon Stoddard: A Grammar of the Latin Language: For the Use of Schools and Colleges
Charles Dexter Cleveland: Adam's Latin Grammar: With Numerous Additions and Improvements, Designed to ...
Als Belegstelle wird in beiden Grammatiken Plautus angegeben: Plaut. Pers. I I 41 (oder wie man diese Ziffern deuten soll).
Doch in der gesamten Komödie Persa auf http://thelatinlibrary.com/plautus/persa.shtml wird keine Form POTESSIM gefunden. Es stellt sich die Frage, was es mit dieser Lesart auf sich hat, ob diese Stelle vielleicht verderbt ist und andere Lesarten die richtigen sind. Man müsste dieser Frage auf den Grund gehen. Mehr hierzu (hoffentlich) demnächst.
(diese wissenschaftliche Lindsay-Ausgabe mit textkritischem Apparat habe ich auch als Druckversion noch aus meiner Studienzeit daheim im Regal stehen)
In Zeile 41 steht hier: TO: emere amicum tibi me potis es sempiternum
Es liegt nahe, dass es statt potis es sem... eine Lesart potessim geben könnte, doch leider schweigt sich Lindsay in seinem textkritischen Apparat, in den ich so große Hoffnungen gesetzt hatte, zu möglicherweise vorliegenden Textvarianten aus. Der textkritische Apparat in der Lindsay-Ausgabe gibt nichts her, was unsere Frage nach der Zulässigkeit der Form POTESSIM betrifft.
Ich tendiere daher prinzipiell erst einmal zu "POTESSIM = ungültig". Doch weitere Nachforschungen sind notwendig.
Sehr interessant, was du da wieder alles gefunden hast!
Dass es in diesen beiden Grammatiken vorkommt, spricht schon sehr für die Gültigkeit. Dann wären aber die Formen POTESSIS, -IT etc. gültig. Vielleicht kommt eine davon wirklich in der Literatur vor. Ich kann ja auch selber einmal suchen.
Auch in der Grammatik Benjamin Hall Kennedy: The public school Latin grammar, die ich in den Beitrag #82 auf Weitere nützliche Links fürs latin.dic von Scrabble3D eingebettet habe, ist auf Seite 152 unten die Rede von der archaischen Form potessim, die angeblich bei Plautus belegt sei.
Ich würde diese Form halt gern einmal konkret bei Plautus belegt sehen.
Und ich würde auf jeden Fall gern noch die Grammatik von Rubenbauer/Hofmann konsultieren.
Ich habe spaßeshalber mal sämtliche Plautus-Komödien auf http://thelatinlibrary.com/plautus.html durchgeklickt und im Browserfenster nach dem Textstring potessim gesucht - vergeblich! Ich fand in dieser Plautusausgabe nirgends die Form potessim.
Die Tatsache, dass weder in der Ausgabe auf http://thelatinlibrary.com/plautus.html noch in der Oxford-Ausgabe von Lindsay zumindest im Persa kein Beleg für potessim zu finden ist, macht mir eben zu schaffen. Dies steht im Widerspruch zu dem, was man in den alten Grammatiken findet. Ich befürchte, dass es sich bei der Form potessim vielleicht gar nicht um eine archaische Form, sondern ganz einfach um eine falsche Lesart handeln könnte. Das muss nicht so sein, aber die Gefahr besteht.
In der Allen/Greenough-Grammatik sind im § 198 b) unten in der Fußnote 1 z.B. archaische Formen des Verbs posse angeführt, aber nicht die fragliche Form potessim, um die es uns hier geht. Auch das gibt mir zu denken. Siehe https://archive.org/stream/allengreenoug...ge/108/mode/2up
Zitat von Allen/Greenough-Grammatik auf http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text...&force=y#note2222 The forms potis sum , pote sum , etc. occur in early writers. Other early forms are potesse; possiem, -ēs, -et; poterint, potisit (for possit ); potestur and possitur (used with a passive infinitive, cf. § 205. a).
Das würde bedeuten, dass es sich bei der Form potessit lediglich um eine Konjektur (bzw. sogar nur eine Vermutung!) handelt, die sich jedoch als falsch erwiesen hat.
Wenn man sich noch einmal die Plautus-Stelle Persa 1, 1, 41 ansieht (auf http://thelatinlibrary.com/plautus/persa.shtml ist es der Vers 35), dann sieht man, dass dort tatsächlich die Lesart potis est übernommen wurde. Und potis est steht ein wenig später auch noch im Vers 40:
Zitat von Plautus, Persa, 1, 1, 41 (bzw. 35 und 40) auf http://thelatinlibrary.com/plautus/persa.shtmlTOX. cum tibi me potis es sempiternum. SAG. Quem ad modum? [...] impudens? quin si egomet totus veneam, vix recipi potis est. . . . .40
So steht es auch in der wissenschaftlichen Oxford-Ausgabe von Lindsay, die ich für sehr seriös halte. Dass es sich bei der Form potessit lediglich um eine Konjektur (bzw. sogar nur eine Vermutung!) handelt, die sich jedoch als falsch erwiesen hat, erklärt auch, warum Lindsay in seinem textkritischen Apparat nichts von einer etwaigen, in einer Handschrift belegten Lesart potessit erwähnt.
Allerdings ist der umgebende Wortlaut in der Ausgabe von Lindsay ein anderer als in der der Online Latin Library...
Doch Neue schreibt nur von einer vermuteten Form potessit, nicht jedoch von der im L&S angeführten Form potessim.
Schauen wir uns die Textstelle noch einmal an und vergleichen wir die unterschiedlichen Wortlaute in der Lindsay-Ausgabe und in der Latin Library:
Lindsay: TO: Emere amicum tibi me potis es sempiternum. SAG: quem ad modum?
Latin Library: TOX. <Facere ami>cum tibi me potis es sempiternum. SAG. Quem ad modum?
Anhand der spitzen Klammern in der Latin Library erkennt man, dass diese Stelle verderbt ist. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum Camerar. in diesem Vers auch eine Konjektur vorgenommen hat. Ob er nun potessit oder potessim vorgeschlagen hat, sei dahingestellt. Das m in sempiternum könnte den einen oder anderen Altphilologen durchaus zu einer Konjektur potessim veranlasst - oder besser: verleitet - haben. Warum im L&S die Form potessim angegeben ist, darüber kann man nur spekulieren. Wollte man vielleicht die 1. Person Singular quasi als Nennform haben, um das gesamte Paradigma zuzulassen?
Meine Quintessenz:
Ich würde mich im vorliegenden Fall Friedrich Neue, dem Georges und der Allen-Greenough-Grammatik anschließen, denn aufgrund der verderbten Plautus-Stelle Persa 1, 1, 41 halte ich die angeblich archaische Form potessit bzw. potessim doch für eine sehr ungewöhnliche und gewagte Konjektur. Ich denke, dass man sich hier bei der Beurteilung dieser Textstelle nicht blindlings auf das Argument der Lectio difficilior verlassen sollte, denn die Form potis es scheint mir durch die kurz danach im Text noch einmal aufscheinende Form potis est gestützt zu sein.
Ich würde daher POTESSIMnicht ins latin.dic aufnehmen, genau so, wie du, lieber Linhart, im Beitrag #1 bereits vorgeschlagen hast. Dafür spricht auch die Tatsache, dass diese Form offenbar nirgendwo anders in der Literatur belegt zu sein scheint.
Linhartule ex L&S, es war wieder einmal eine ganz grandiose Leistung von dir, dass du diese altphilologische Rosine herausgepickt hast! Bravo!
Vielen, vielen Dank für diese professionelle Analyse!
Ich hatte auch schon versucht, etwas im Neue zu finden, allerdings ohne Erfolg.
Meine Vermutung bezüglich des Eintrags im L&S ist, dass zunächst einmal von einem Beleg für potessim ausgegangen wurde. Daher wurde potessim im Artikel possum angeführt und ein diesbezüglicher Verweis von potesse und potessim auf possum erstellt. Später wurde dann vielleicht erkannt, dass potessim nicht ausreichend belegt ist und somit im Artikel possum gestrichen. Es wurde aber vergessen, auch den Verweis zu korrigieren.
Gestützt wird diese Vermutung vor allem dadurch, dass beim Verweis "init." dabeisteht. Das ist kein allgemeiner Verweis auf possum, sondern er bedeutet, dass im Anfangsteil des Artikels etwas über potessim steht. Da jetzt aber nichts dergleichen dort zu finden ist, nehme ich an, dass das gelöscht wurde.
Jetzt hab ich endlich einen Link gefunden, wo man im Text der Neue-Grammatik suchen kann, und zwar auch im Band 3 (bisher hatte ich es nur für den 1. Band geschafft):
Nein, diese Links hatte ich noch nicht benutzt! Vielen Dank! Wer weiß, wann ich die mal brauchen kann. Allerdings kann das Suchen in so einer OCR-eingescannten Textdatei auch frustrierend sein, wenn viele OCR-Einscanfehler vorliegen. Aber das werden wir ja beim nächsten Mal sehen.
Lieber Linhart, sehr gut gefällt mir auch deine Hypothese bezüglich des besagten Eintrags im L&S. Das klingt mir nämlich alles sehr plausibel. Wahrscheinlich ist es haargenau so, wie du sagst! Bist eine Superspürnase, du Archilexikologe, du! Nicht umsonst bist du der Linh. ex L&S!