Bei einem ersten Testspiel mit der vorläufigen Testversion des latin.dic, die mir Linhart zwecks Backup und zum Ansehen heute geschickt hat, ist mir aufgefallen, dass der Computer auf C5 senkrecht TRINSOR (1. Person Singular, Präsens Indikativ Passiv; = "ich werde gezwitschert") gelegt hat.
Zitat von L&S - Glossa.exe trinso, āre, v. trisso.
*trisso, āre, v. n., of the note of the swallow, to twitter, Auct. Carm. Philom. 26 (al. trinsat).
Die Frage ist nun, ob TRINSO, TRINSARE aufgrund des Querverweises auch intransitiv ist, so wie TRISSO, TRISSARE, v.n., obwohl kein entsprechender Vermerk dabei ist. Spontan aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Ja!
Zitat von Georges auf http://www.zeno.org/Georges-1913/A/trisso[3228] trisso, āre (τρίζω), zwitschern, Naturlaut der Schwalben, Anthol. Lat. 733, 5 (1079, 5); 762, 26 (233, 26). Aldh. de re gr. et metr. in Class. auct. 5, 569.
Wir sehen, der Georges bringt uns leider nicht weiter.
Im Du Cange, et al., Glossarium mediæ et infimæ latinitatis. Niort : L. Favre, 1883-1887, ab jetzt nur noch kurz Du Cange genannt, finde ich auf der Seite mit den Wörtern mit dem Anfangsbuchstaben T (http://ducange.enc.sorbonne.fr/src/T.xml) Folgendes:
Zitat von Du Cange auf http://ducange.enc.sorbonne.fr/src/T.xmlTRINSARE, Trinsire. In Carmine Philom. pro Trissat hirundo, alii legunt Trinsat, quod de ursis se ad numerum moventibus dicitur in Ruodlieb fragm. 3. vers. 96 : Erecti calcant pedetemptim murmure Trinsant.
Confer Drensare. Aldhelm. de re Gramm. apud Maium Class. Auct. tom. 5. pag. 569 : Anseres Trinsiunt.
Meine Übersetzung:
Im Carmen de Philomela ad calcem (Cod. reg. 6816) lesen andere statt Trissat hirundo --> Trinsat
Wir sehen also, dass es sich bei den Wörtern TRINSARE und TRISSARE offenbar nur um zwei verschiedene Lesarten handelt. Ich verstehe nicht, warum L&S das nicht genauer behandeln...
Zum Wort DRENSO, DRENSARE lese ich im L&S Folgendes:
Zitat von L&S - Glossa.exedrenso, āre, v. n., expresses the note of the swan, Auct. Philom. 23.
Also handelt es sich auch beim "Schwanengesang" um ein intransitives Verb.
Vermutlich gibt es noch eine ganze Reihe solcher Verben. Ich habe beim Heraussuchen der intranstiven Verben die Querverweise nämlich nicht berücksichtigt, weil mir das zu kompliziert erschien. Langfristig wird es aber natürlich notwendig sein, das zu machen.
Hier ist noch die Frage offen, ob TRINSO ebenso wie TRISSO in die Kategorie 4 gehört. Ich würde sagen, ja.
Dafür spricht auch die Tatsache, dass keines dieser beiden Verben im OLD aufscheint. (Das könnte aber auch daran liegen, dass OLD nur die Literatur bis zum Jahr 200 berücksichtigt.)
ich komme bei meinen Recherchen, was die Belegstelle Auct. Carm. Philom. betrifft, einfach nicht weiter. Ich finde keinen Originaltext im Internet. Könntest du daher mal so lieb sein und mir alle L&S-Stichworteinträge, bei denen Carm. Philom. dabei steht, herausfiltern?
Bei Auct. Carm. Philom. bzw. dem Carmen de Philomela ad calcem (Cod. reg. 6816) scheint es sich entweder um ein Glossarium oder um ein Gedicht ( --> Carmen!) zu handeln, bei dem es um die Bezeichnungen von verschiedenartigem Vogelgezwitscher und anderen Tierlauten geht.
Es besteht Grund zur Annahme, dass diese Verben allesamt intransitiv (v.n.) und Hapax legomena sein könnten.
Stichproben haben bisher ergeben:
Zitat von L&S, Glossa.exe zinzĭlŭlo, āre, v. n., the natural cry of certain birds, to chirp (of the regulus, merops, and progne), Auct. Carm. Phil. 43.
cācăbo ( [brevemacr][brevemacr] Auct. Fragm. Aucup. 12), āre, v. n., to cackle; Gr. κακκαβιζω, as the natural cry of the partridge: cacabat hinc perdix, Carm. Philom. 19
cūcūrĭo, īre, v. n. root kar-, to sound; cf. Gr. κρεκωκραυγη, to crow, Auct. Carm. Philom. 25. (vgl. CUCCURU, CUCURRU)
būbŭlo, āre, v. n. [bubo], to cry, hoot, or screech like an owl, Auct. Carm. Phil. 37.
Hier scheint es sich jedoch nicht um Hapax legomena zu handeln. Immerhin sind diese Verben auch intransitiv (v.n.):
Zitat von L&S, Glossa.exetūtŭbo, āre, v. n. [onomatop.], to cry like an owl, to hoot : noctua lucifugax tutubat in tenebris, Auct. Carm. Philom. 41 (al. cucubat); cf. Plaut. Men. 4, 2, 96.
bombīto, āre, v. n. bombus; cf. Gr. βομβω, to buzz, hum; of bees (cf.: bombio, bombitatio, bombus), Auct. Carm. Phil. 36; Mart. Cap. 9, § 999 Eyssenh.
Hier aber erst mal ein Auszug aus dem Carmen de philomela, den ich im Zusammenhang mit meinen Recherchen bezüglich http://17085.homepagemodules.de/t1878f30...html#msg9873031 gefunden habe (wobei festzuhalten bleibt, dass ich erst durch meine Recherchen bezüglich TRINSO, TRISSO auf CUCCURU, CUCURRU gestoßen bin). Hier steht - genau wie im L&S angegeben: trissat hirundo vaga (auf Deutsch ungefähr: es zwitschert die unstete Schwalbe) !
Im Buch The Birds of the Latin Poets des Autors Ernest Whitney Martin findet sich ein etwas längeres Zitat des Carmen de philomela aus der Anth. Lat. II, nach der ich verzweifelt suche:
TRISSARE scheint doch kein Hapax zu sein, wie wir anhand des im Buch The Birds of the Latin Poets angeführten zweiten Belegs in der Anth. Lat. 733 (die ich nach wie vor verzweifelt im Internet suche) sehen:
Da hätte ich doch schon längst mal nachschauen können! Wikipedia ist fürwahr nicht zu unterschätzen, auch wenn sie allgemein den Ruf hat, nicht wissenschaftlich zu sein, weil sich jedermann am Verfassen der Artikel beteiligen kann!
Leider lese ich auf Seite 225 unten im textkritischen Apparat zur Zeile 26 nichts von einer anderen Lesart TRINSAT (mit N), die etwa in irgendeinem Codex aufscheint.
Ich verstehe nicht recht, wie einige (= alii) dazu kommen, statt TRISSARE --> TRINSARE zu lesen.
Rekapitulieren wir:
Zitat von Du Cange auf http://ducange.enc.sorbonne.fr/src/T.xmlTRINSARE, Trinsire. In Carmine Philom. pro Trissat hirundo, alii legunt Trinsat, quod de ursis se ad numerum moventibus dicitur in Ruodlieb fragm. 3. vers. 96 : Erecti calcant pedetemptim murmure Trinsant.
Confer Drensare. Aldhelm. de re Gramm. apud Maium Class. Auct. tom. 5. pag. 569 : Anseres Trinsiunt.
Was bedeutet das auf Deutsch? Ich versuche mal zu übersetzen, werde aber - muss ich leider zugeben - nicht ganz schlau aus dem Ducange-Kommentar:
In Carmine Philom. pro Trissat hirundo, alii legunt Trinsat, quod de ursis se ad numerum moventibus dicitur in Ruodlieb fragm. 3. vers. 96 : Erecti calcantpedetemptimmurmure Trinsant.
Im Gesang der Nachtigall (Carmen de Philomela, = Anthol. Lat. 762) lesen einige statt "trissat hirundo" "trinsat", was von den sich auf die Zahl (?) (die Menge, die Schar?) zubewegenden Bären bei Ruodlieb im Fragment 3. Vers 96 gesagt wird: Aufrecht treten sie mit den Füßen Schritt für Schritt mit Brummen geben sie den Tierlaut "trinsare" von sich.
1. Ich kapiere nicht, was das Brummen von Bären mit dem Zwitschern von Schwalben zu tun hat... 2. Irgendwie ist mir der Satz mit den zwei Verben CALCANT und TRINSANT ohne jegliches Komma oder die Konjunktion et nicht klar.
Heu! Muss ich jetzt etwa dieses Ruodlieb-Fragment 3. Vers 96 im Original heraussuchen, damit wir uns ein Bild vom genauen Kontext machen können?!
Allerdings ist Ruodlieb "ein lateinisches Versepos des beginnenden Hochmittelalters, das etwa Mitte des 11. Jahrhunderts vermutlich von einem Tegernseer Mönch in guten Leoninischen Hexametern verfasst wurde. Das Werk, von dem etwa 2.300 Verse in achtzehn Bruchstücken überliefert sind, kann als ein früher Vorläufer des höfischen Romans des 12. Jahrhunderts angesehen werden. Es fand offenbar keinerlei Verbreitung." (Zitat Wikipedia, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Ruodlieb)
Ich verstehe immer weniger, was dieses mittelalterliche Gedicht (Ruodlieb) mit unserem antiken Carmen de Philomela Anthol. Lat. 762 zu tun haben soll... Ich kapiere absolut überhaupt nichts! Wie hängt TRINSARE bitteschon mit TRISSARE zusammen?!
Ich stelle mir nun folgende Fragen: 1. Wo ist TRINSARE in einem antiken Text belegt? Das mittelalterliche Ruodlieb-Gedicht zählt hier nicht! 2. Wieso haben sowohl das L&S als auch der Georges das Wort TRINSO als eigenen Lemmaeintrag mit Verweis auf TRISSO aufgenommen? 3. Gibt es eventuell einen Codex (eine Handschrift), wo tatsächlich die Lesart TRINSARE statt TRISSARE überliefert ist? 4. Ist TRINSANT vielleicht nur eine Konjektur irgendwelcher Altphilologen, die sich - warum auch immer - an dem mittelalterlichen Ruodlieb-Text orientieren?
Ich bin jedenfalls sehr skeptisch, was die Form TRINSO, TRINSARE betrifft.
Das einzige, was wir bisher in diesem Thread herausgefunden haben und mit Sicherheit sagen können, ist, dass TRISSARE kein Hapax legomenon ist. Doch was die Form TRINSARE mit N betrifft, sind wir genauso schlau wie vorher, d.h. wir wissen im Grunde genommen nach wie vor nichts über die Korrektheit und Zulässigkeit dieses Wortes!
Eine Möglichkeit wäre, dass du, lieber Linhart, das nächste Mal, wenn du in die Unibibliothek kommst, das OLD konsultierst. Wer weiß, was dort Interessantes steht, was uns weiterhilft. Auf den Thesaurus können wir in diesem Fall ja leider nicht bauen, da der Band T noch gar nicht existiert... Hättest du Lust, mal im OLD nachzuschauen? Du wärst wirklich ein Schatz, lieber Linh. ex OLD, wenn du das machen würdest!
Ich glaube nicht, dass ich allein hier weiterkomme. Die Sache scheint mir ziemlich festgefahren zu sein...
Noch bevor ich deine diesbezügiche Bitte gelesen habe, ist mir schon der Gedanke gekommen, das OLD zu konsultieren. Das dürfte ja doch das beste moderne Lateinwörterbuch sein (vom Thesaurus einmal abgesehen). Ich kann aber noch nicht genau sagen, wann es mir ausgeht.
Zitat von linhart im Beitrag #Noch bevor ich deine diesbezügiche Bitte gelesen habe, ist mir schon der Gedanke gekommen, das OLD zu konsultieren. Das dürfte ja doch das beste moderne Lateinwörterbuch sein (vom Thesaurus einmal abgesehen). Ich kann aber noch nicht genau sagen, wann es mir ausgeht.
Hach, du und ich, wir haben immer genau die gleichen Gedanken!
Egal, wann du mal wieder in der Bibliothek ins OLD gucken kannst - hab schon jetzt herzlichsten Dank für deine Bemühungen!
Ich ernenne dich hiermit offiziell zum egregius Linh. ex L&S, ex George, ex Thesauro, ex OLD !