Das ist natürlich ein ziemlich unangenehmes Dilemma.
In meiner Datei myLa6 steht pluiturus mit einem Fragezeichen drinnen. Ich habe es irgendwann einmal als unzulässig markiert, weil eben in L&S kein Beleg dafür angegeben ist.
Bei compluo müsste das Futurpartizip eigentlich compluturus heißen, und so steht es derzeit auch im latin.dic.
Außerdem ist nicht ganz klar, ob die aktiven Perfektformen wie z.B. compluisti aufgenommen werden sollen. Ich habe ja die Form complui in L&S irrtümlich für eine aktive Perfektform gehalten.
Ich denke, wir sollten unserem Grundsatz treu bleiben, Georges nur heranzuziehen, wenn im L&S eine Unklarheit vorliegt. Bei COMPLUIT liegt eine solche Unklarheit vor, aber nur was die Aktiv-Formen des Präsensstammes betrifft. Daher würde ich auch nur diese entsprechend dem Georges aufnehmen. Bei den Passiv-Formen ist dagegen klar, dass alle aufzunehmen sind.
Bei PLUO scheint mir dagegen der Eintrag im L&S durchaus eindeutig zu sein. Da weder ein Futur-Partizip noch ein Supinum angegeben ist, sehe ich auch keinen Grund, PLUITURUS aufzunehmen.
Ich halte es für sehr wichtig, dass wir unseren Grundsatzentscheidungen so weit wie irgend möglich treu bleiben, denn sonst kommen wir in Teufels Küche. Es gibt z.B. unzählige Unterschiede zwischen L&S und Georges, was die Perfektformen von Verben betrifft. Wenn wir alle diese Fälle durch Nachforschungen klären wollten, würden wir wahrscheinlich Jahrzehnte brauchen.
Zitat von linhart im Beitrag #17Ich denke, wir sollten unserem Grundsatz treu bleiben, Georges nur heranzuziehen, wenn im L&S eine Unklarheit vorliegt. [...] Ich halte es für sehr wichtig, dass wir unseren Grundsatzentscheidungen so weit wie irgend möglich treu bleiben, denn sonst kommen wir in Teufels Küche. Es gibt z.B. unzählige Unterschiede zwischen L&S und Georges, was die Perfektformen von Verben betrifft. Wenn wir alle diese Fälle durch Nachforschungen klären wollten, würden wir wahrscheinlich Jahrzehnte brauchen.
Ich konnte nicht umhin, den Fall compluiturus aufzugreifen, nachdem ich so direkt mit der Nase darauf gestoßen bin. Aber du hast Recht, Linhart. Dein Argument ist plausibel, denn wir müssen eine Grenze ziehen.
Ich werde zwecks besserer späterer Auffindbarkeit den Fall pluiturus in einen separaten Thread rüberkopieren und unter dem Buchstaben P einordnen. Falls man später noch einmal nachsehen möchte, warum und wieso pluiturus nicht im latin.dic steht, obwohl diese Form bei Augustin belegt ist, dann kann man dort unsere Argumentation finden. OK?
Zitat von Bussinchen im Beitrag #18Ich werde zwecks besserer späterer Auffindbarkeit den Fall pluiturus in einen separaten Thread rüberkopieren und unter dem Buchstaben P einordnen. Falls man später noch einmal nachsehen möchte, warum und wieso pluiturus nicht im latin.dic steht, obwohl diese Form bei Augustin belegt ist, dann kann man dort unsere Argumentation finden. OK?
Zitat von linhart im Beitrag #16Außerdem ist nicht ganz klar, ob die aktiven Perfektformen wie z.B. compluisti aufgenommen werden sollen. Ich habe ja die Form complui in L&S irrtümlich für eine aktive Perfektform gehalten.
Es ist so (ich will mich noch einmal etwas klarer ausdrücken, verzeih mir):
Im L&S steht:
Zitat von L&S, Glossa.execomplŭit, ĕre, v. impers. * I. Neutr., to flow together, in raining : quā compluebat compluvium (dictum), Varr. L. L. 5, § 161 Müll.— II. Act., to rain upon; hence, as a pass. : compluor, complutus sum, ŭi, to be rained upon (late Lat.), Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15.
Die von mir im L&S rot markierte Form complŭi mit kurzem ŭ ist der Infinitiv Präsens Passiv (compluere > complui).
Im Georges steht:
Zitat von Georges auf http://www.zeno.org/Georges-1913/A/compluo[1356] com-pluo, uī, ūtum, ere, I) intr. regnend zusammenfließen, Varr. LL. 5, 161. – II) tr. beregnen, exsultet terra, quam compluunt caeli, Augustin. in psalm. 95, 12 (vgl. 98, 2): verbum dei omnes compluit, Augustin. serm. 4, 31: bes. Partiz. Perf. complūtus, beregnet, imbre saxatili, Solin. 10, 15; u. so oft bei den Eccl.
Die von mir im Georges rot markierte Form compluī mit langem ī ist die 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv (compluere > complui).
Vom Schriftbild COMPLUI her sind die Formen des Infinitiv Präsens Passiv und der 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv identisch. D.h. es liegt Homographie vor. Inwieweit auch die Aussprache gleich ist oder nicht, d.h. ob auch Homophonie vorliegt, ist mir im Moment nicht ganz klar. Jedenfalls wird das i der Infinitiv-Passiv-Endung lang ausgesprochen (vgl. Rubenbauer/Hofmann §77b, Seite 71), ebenso wird das i der 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv lang ausgesprochen (vgl. Rubenbauer/Hofmann §77a, Seite 70). Da weder im L&S noch im Georges bei PLUO oder COMPLUO/COMPLUIT ein Längenzeichen auf dem u angegeben ist, gehe ich davon aus, dass dieses u sowohl im Präsenstamm als auch im Perfektstamm der Aktivformen naturkurz ist. Ich nehme also an, dass bei den Formen COMPLUI als Infinitiv Präsens Passiv bzw. als 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv tatsächlich echte Homonymie vorliegt.
Da wir aufgrund der im L&S voliegenden Unklarheit nun entschieden haben, dass wir uns im Fall COMPLUIT nach den Angaben im Georges richten, halte ich die aktiven Perfektformen complui, compluisti, compluit, compluimus, compluistis, compluerunt für zulässig. Demgemäß wären natürlich auch alle anderen vom Perfektstamm abgeleiteten Formen im Aktiv zulässig (Konjunktiv Perfekt, Indikativ und Konjunktiv Plusquamperfekt und Futur exakt, sämtliche Personen im Singular und Plural).
Ich möchte aber trotzdem nochmals festhalten, dass lt. L&S die aktiven Perfektformen nicht zulässig sind. Da es diesbezüglich keinen Zweifel gibt, könnten wir diese Formen auch weglassen.
Die Frage ist also eigentlich, ob wir unsere Grundsatzentscheidung insoferne präzisieren sollten, dass bei einem Lemma mit zweifelhaftem Eintrag in L&S der gesamte entsprechende Eintrag im Georges für uns maßgeblich ist, und nicht nur der Teil, auf den sich der Zweifel bezieht.
Zitat von Bussinchen im Beitrag #20Vom Schriftbild COMPLUI her sind die Formen des Infinitiv Präsens Passiv und der 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv identisch. D.h. es liegt Homographie vor. Inwieweit auch die Aussprache gleich ist oder nicht, d.h. ob auch Homophonie vorliegt, ist mir im Moment nicht ganz klar. Jedenfalls wird das i der Infinitiv-Passiv-Endung lang ausgesprochen (vgl. Rubenbauer/Hofmann §77b, Seite 71), ebenso wird das i der 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv lang ausgesprochen (vgl. Rubenbauer/Hofmann §77a, Seite 70). Da weder im L&S noch im Georges bei PLUO oder COMPLUO/COMPLUIT ein Längenzeichen auf dem u angegeben ist, gehe ich davon aus, dass dieses u sowohl im Präsensstamm als auch im Perfektstamm der Aktivformen naturkurz ist. Ich nehme also an, dass bei den Formen COMPLUI als Infinitiv Präsens Passiv bzw. als 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv tatsächlich echte Homonymie vorliegt.
Ich hab sicherheitshalber mal unseren lieben Freund und Linguisten und Experten Varro gefragt, wie er das mit der Homonymie von PLUI bzw. PLUIT sieht, und er hat mir auch gleich geantwortet. Er sagte, dass ich falsch liege mit meiner Annahme, dass das u sowohl im Präsens als auch im Perfekt (d.h. im Infinitiv Präsens Passiv bzw. in der 1. Person Singular Indikativ Perfekt Aktiv) gleich, und zwar naturkurz ausgesprochen wird.
Er sagt, dass das u im Präsens kurz und in der Vergangenheit lang ausgesprochen wird. Danke, lieber Varro, für diese nützliche Erklärung! Jetzt ist alles klar!
Dann muss ich aber sagen, dass auch Georges in dieser Hinsicht schlampig gearbeitet hat. Georges hätte ja die Zeichen für die Länge bzw. Kürze aufs u setzen können, oder eben zumindest das Längenzeichen aufs u im Perfektstamm, damit wir gleich Bescheid gewusst hätten, ohne erst Varro bemühen zu müssen... Wie man sieht (Fußnote!), haben die Leute aber damals auch schon mit der Aussprache geschlampert...
Zitat von Varro, De Lingua Latina, Buch 9, § 104 Varro, De Lingua Latina, Buch 9, § 104
Aber es ist schon toll, wenn wir in Zweifelsfällen Varro fragen können!
Zitat von linhart im Beitrag #24Ich werde einmal schauen, ob ich einen analogen Fall finde. Das dürfte aber ziemlich schwierig sein. Jedenfalls denke ich, dass so etwas nicht oft vorkommt, und wir daher eventuell auch Einzelfallentscheidungen treffen können.
Und wie möchtest du im Fall COMPLUIT am liebsten verfahren? Ich bin mir eben nicht sicher, was besser wäre. Letztlich ist es wohl eine willkürliche Entscheidung, die wir treffen müssen.
Aber ich würde sagen - auch im Hinblick auf das, was Varro zur Aussprache der Perfektform PLUIT des Verbum simplex PLUO gesagt hat - dass wir das Perfekt Aktiv COMPLUI gemäß den Angaben im Georges eigentlich schon ins latin.dic aufnehmen sollten. Mir erscheint das irgendwie logischer, wenn COMPLUO analog zu PLUO mit dem kompletten Paradigma aufgenommen wird. Oder nicht?
Man kann nämlich auch so argumentieren: L&S hält COMPLUIT für ein "defektives Verb", d.h. nur gewisse Formen kommen vor, nicht das gesamte Paradigma. Georges hingegen hält COMPLUO nicht für ein defektivies Verb, sondern lässt das gesamte Paradigma zu. Und wir schließen uns dem Georges an.
Einzelfallentscheidungen: Es kommt wohl immer auch darauf an, was im jeweiligen Fall genau im Georges steht... Vielleicht sind Einzelfallentscheidungen tatsächlich die beste Lösung.
Ich hab jetzt alle Formen des Präsensstammes (aktiv und passiv) aufgenommen, aber bei den aktiven Perfektformen kann ich mich nicht zu einer Aufnahme entschließen. Das Argument, dass es bei PLUO ein Perfekt gibt, reicht mir nicht aus, denn es gibt sehr viele Verben mit Perfekt, bei denen einige oder alle Komposita zumindest in L&S kein Perfekt haben. Ich hab mit einem kleinen Programm nach solchen Komposita gesucht und allein bei der e- und konsonantischen Konjugation über 400 gefunden. Hier sind ein paar Beispiele
confoveo conpasco conspuo detendo impeto
Oft steht in L&S explizit "no perf." dabei, aber nicht immer. Z.B. fehlt bei impeto so ein Vermerk.
Ich verstehe sehr wohl dein Gegenargument. Wir müssen ja auch konsequent sein in unserer Vorgehensweise. Danke auch für deine Bemühungen, mittels Spezialprogramm nach analogen Fällen zu suchen!
Doch lesen wir noch einmal den L&S-Eintrag:
Zitat von L&Scomplŭit, ĕre, v. impers. *I. Neutr., to flow together, in raining : quā compluebat compluvium (dictum), Varr. L. L. 5, § 161 Müll.— II. Act., to rain upon; hence, as a pass. : compluor, complutus sum, ŭi, to be rained upon (late Lat.), Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15.
Die PPP-Form complutus ist also explizit angegeben: Partizip Perfekt Passiv. Es steht beim Lemma nicht explizit "no perf." dabei. Das kann man streng genommen ja auch nicht dazuschreiben, da das Perfekt laut Angaben im L&S im Passiv eindeutig zulässig ist.
Mutet es da nicht ein bisschen seltsam an, wenn man einerseits das Perfekt Passiv zulässt, andererseits aber das Perfekt Aktiv ausschließt? Wäre das konsistent?
Ich frage nur... stelle diesen Punkt zur Diskussion...
Die Angabe "no perf." in L&S schließt nicht aus, dass es ein PPP gibt. Z.B.:
Zitat von L&S-Glossacom-pasco (con-), no perf., pastum, ĕre, v. n. and a. I. To feed together, feed in common : si compascuus ager est, jus est compascere, Cic. Top. 3, 12; Dig. 8, 5, 20.— II. To feed, pasture, in gen.: Brundisiana (ostrea), Plin. 32, 6, 21, § 61.— B. Pregn. 1. To consume by feeding, to eat : pabulum, Varr. R. R. 2, prooem. § 5; so in pass., id. ib. 1, 53.— 2. To drive away, destroy by feeding: famem, Plin. 9, 54, 79, § 169.
Zitat von linhart im Beitrag #29Die Angabe "no perf." in L&S schließt nicht aus, dass es ein PPP gibt.
Puh, wie schwierig!!! Jetzt hast du mich am Wickel... Was soll ich dagegen sagen...
OK, du hast mich überzeugt. Weniger ist mehr. Dann nehmen wir die Perfekt-Aktiv-Formen also nicht auf.
Fazit:
Wir bestimmen hiermit im beiderseitigen Einvernehmen, dass bei dem Verb COMPLUIT, COMPLUEREdie vom Perfektstamm abgleiteten Formen im Aktiv nicht zulässig sind.