Im Artikel zu deformis findet sich aber nur ein Hinweis auf die Ablativform deformis, die man aus deformus herleiten könnte:
Zitat von L&Sdē-formis, e (abl. plur. : deformīs dentibus, Apul. Met. 10, p. 249, 9), adj. [forma; cf. 2. deformo] . I. Departing, either physically or (more freq.) morally, from the right shape, quality, etc.; ...
Ich habe derzeit deformus mit allen Deklinationsformen in der Kat. 4 (hapax leg.), frage mich aber, ob ich das nicht besser weglassen sollte.
Es kommt allerdings relativ oft vor, dass hapax legomena in L&S mitsamt Beugungsformen angegeben sind.
Normalerweise haben wir bei Hapax legomena ja unsere Grundsatzentscheidung Hapax legomena, die wir natürlich auch jederzeit revidieren können, falls wir dies wollen. Die Beugungsformen, die ja nirgends belegt sind, sind also nur logisch erschlossen. Bei dieser Handhabung scheinen mir die Herren Lewis und Short jedoch nicht immer konsequent vorgegangen zu sein: Manchmal stehen die erschlossenen Formen dabei, manchmal nicht.
Es stellt sich zuerst einmal die Frage, ob es sich bei DEFORMUS,-A,-UM wirklich um ein Hapax legomenon handelt. Diese Vermutung liegt nahe, denn weder Georges noch Langenscheidt führt DEFORMUS,-A,-UM auf und Pons auch nicht, was zu erwarten war.
Wie du, lieber Linhart, schon schreibst, scheint nur dieser eine seltsame Ablativ bei Apuleius ein Beleg für das dreiendige Adjektiv der ersten und zweiten Deklination zu sein. Wenn diese eine außergewöhnliche Ablativform deformīs dentibus aber wirklich nur bei Apul. Met.10, p. 249, 9 belegt ist, dann könnte es sich dort durchaus auch um eine falsche Lesart handeln. Wenn das der Fall wäre, dann könnten wir DEFORMUS,-A,-UM guten Gewissens komnplett aus dem latin.dic streichen.
Vielleicht sollte ich recherchieren und versuchen, einen textkritischen Apparat zu der besagten Apuleius-Stelle zu finden.
In der Latin Library finde ich die Metamorphosen des Apuleius - dort natürlich ohne textkritischen Apparat - und im zehnten Buch finde ich folgenden Passus:
Zitat von http://www.thelatinlibrary.com/apuleius/apuleius10.shtml[22] Sed angebar plane non exili metu reputans, quem ad modum tantis tamque magis cruribus possem delicatam matronam inscendere vel tam lucida tamque tenera et lacte ac melle confecta membra duris ungulis complecti labiasque modicas ambroseo rore purpurantes tam amplo ore tamque enormi et saxeis dentibus deformi saviari, novissime quo pacto, quanquam ex unguiculis perpruriscens, mulier tam vastum genitale suscipet: heu me, qui dirrupta nobili femina bestiis obiectus munus instructurus sim mei domini!
Auch bei Vicifons findet sich die Lesart dentibus deformi saviari (Abschnitt 22).
Bei Zeno.org finden wir eine deutsche Übersetzung:
Zitat von http://www.zeno.org/Literatur/M/Apuleius...il/Zehntes+BuchAngst und bange war ich aber dennoch, wie bei so langen Stakbeinen den Thron der Liebe zu besteigen? wie so sanfte, zarte, glänzende, von lauter Milch und Honig geknetete Glieder mit eisernen Hufen zu um fassen? wie so kleine ambrosiaduftende Purpurlippen mit einer so plumpen Schnauze, mit ungeheuren garstigen Zähnen zu küssen? und wie endlich, möchte die Dame auch vor Lust bis in die äußersten Fingerspitzen glühen, ein so übergroßes Opfergefäß hinein in das enge Heiligtum der Wollust zu bringen sei?
Ich mache mal eine wortwörtliche Übersetzung dieser blau markierten Apuleius-Stelle: labiasque modicas ambroseo rore purpurantes tam amplo ore tamque enormi et saxeis dentibus deformi saviari ...die ... Lippen mit einem so riesigen und so enormen und von harten (steinernen, steinartigen) Zähnen (Ablativ) verunstalteten Mund (Maul) (zu) küssen (Infinitiv Präsens Passiv)
Wenn man den erweiterten Kontext auf http://www.zeno.org/Literatur/M/Apuleius...il/Zehntes+Buch liest, so erscheint mir die Wortwahl saviari an dieser Stelle sehr plausibel. Was aber wäre, wenn das S, das nun am Anfang des Wortes saviari steht, der letzte Buchstabe von deformis wäre?
Mögliche Lesarten könnten sein: tam amplo ore tamque enormi et saxeis dentibus deformi saviari (wie gehabt: hier bezieht sich deformi grammatisch auf ore, und der Ablativ saxeis dentibus ist eine Ergänzung zu deformi --> wodurch verunstaltet?) tam amplo ore tamque enormi et saxeis dentibus deformis saviari oder tam amplo ore tamque enormi et saxeis dentibus deformis aviari (aber ein Verb aviari gibt es nicht, mithin wäre diese Lesart falsch)
(labiasque) tam amplo ore tamque enormi et saxeis dentibus deformis saviari hieße dann auf Deutsch: (und die Lippen) mit einem so riesigen und so enormen Mund (Maul) und mit harten (steinernen, steinartigen), verunstalteten Zähnen (Ablativ) (zu) küssen
Bei dieser Variante läge eindeutig eine lectio facilior vor, das heißt, man gruppiert einfach alle Wörter mit der Endung -is an einer Stelle, dadurch geht die schöne, literarische Verschachtelung amplo ore enormi deformi verloren und vom Sinn her wird der Satz schon etwas merkwürdig, denn wer küsst schon mit den Zähnen... Das tut doch nicht einmal ein Esel...
Warum nun dieser Exkurs in die Welt des Esels, des Protagonisten dieses Romans von Apuleius?
Nun, die Lesart dentibus deformis, über die ich hier spekuliere, scheint mir falsch zu sein. Ich schließe mich der Sicht der Herausgeber der Online-Ausgabe der Metamorphosen des Apuleius an, die die Lesart dentibus deformi gewählt haben. Ich glaube, wir brauchen auch gar keinen textkritischen Apparat mehr einzusehen, denn für mich liegt es auf der Hand, dass das, was ich in diesem Beitrag in Bezug auf verschiedene Lesarten geschrieben habe, logisch und richtig sein muss. Natürlich wäre es interessant zu erfahren, in wie vielen und in welchen guten bis schlechten Handschriften welche Lesart überliefert ist. Gegen die Lesart dentibus deformis spricht eben auch die "Hapax-legomenon-Form" eines an sich grammatisch falschen DEFORMUS,-A,-UM, wo dieses Adjektiv doch normalerweise zweiendig ist und der dritten Deklination angehört.
Die Quintessenz meiner Ausführungen wäre, dass wir uns in diesem Fall tatsächlich einmal dem Georges anschließen und das Wort DEFORMUS,-A,-UM nicht in unser latin.dic übernehmen, auch nicht in die Kategorie 4 der Hapax legomena. Du, lieber Linhart, fragtest dich, "ob du das nicht besser weglassen solltest". Diese Frage war wirklich berechtigt, und ich würde sagen, ja, Linhart, lass es weg.
Das war also offenbar ein Altphilologe bzw. Humanist von 1624.
Was das φ bedeutet, vermag ich im Moment nicht zu sagen. Handelt es sich vielleicht um einen Codex? Leider finde ich in dieser Teubner-Ausgabe von 1904 keine Angaben zur Apuleius-Überlieferung. Das wäre sehr interessant gewesen. Aber ich glaube, wir können auch ohne Angaben zu den Codices die Lesart dentibus deformis verwerfen!
Zitat von linhart im Beitrag #4Vielen Dank! Das war wieder einmal eine Recherche vom Allerfeinsten.
Dabei war das zunächst gar keine Recherche in dem Sinne, sondern reine Spekulation meinerseits, gepaart mit einer gehörigen Portion altphilologischer Logik, also mit Altphilologik, kurz: Altphilogik!
Mir fällt noch etwas ein: Könnte es sein, dass der Passus deformis φ em. Scriver so zu interpretieren ist:
In der Handschrift bzw. im Codex φ findet sich die Lesart deformis. Doch Scriver hat erkannt, dass dies falsch sein muss, und hat in seiner Emendation das s getilgt. Die s-lose Variante haben wir heute ja auch in den modernen Online-Ausgaben der Vicifons und der Latin Library.
Ich hatte das vorhin falsch verstanden. Es muss natürlich so sein, wie ich jetzt geschrieben habe. Scriver war ein tüchtiger Altphilologe und hat erkannt, dass die deformus,-a,-um Nonsens ist. Dies tut unserer Entscheidung, deformus,-a,-um aus dem latin.dic zu streichen, jedoch keinen Abbruch. Ich denke, die Argumentation dürfte klar sein.
Ich fand es hochinteressant, mich im Zuge der Diskussion um DEFORMUS,-A,-UM ein wenig mit den Metamorphosen des Apuleius zu beschäftigen. Besonders fasziniert hat mich, dass Apuleius in seinem Roman eine verschachtelte Erzählweise gewählt hat, wie wir sie auch in modernen literarischen Werken vorfinden (Erzählungen innerhalb der Rahmenerzählung). Dass der Protagonist Lucius in einen Esel verwandelt wird und aus seiner Verwandlung heraus beobachtet und analysiert, wie die Menschen agieren, erinnert mich auch an Franz Kafkas Roman "Die Verwandlung", wo der Protagonist in einen hässlichen Käfer verwandelt wird und aus seiner Verwandlung heraus seine begrenzte Welt beobachtet und erkennen muss, wie seine Familie, Sinnbild für die gesamte Gesellschaft, wirklich ist. Was die psychlogischen und soziologischen Analysen der Gesellschaft betrifft, so scheinen mir Apuleius und Kafka nicht so weit voneinander entfernt zu sein.
Danke, lieber Linhart, für den wunderschönen Denkanstoß, den mir deine Frage nach der Korrektheit und Zulässigkeit von DEFORMUS,-A,-UM gegeben hat.
Gut! Dann haben wir noch ein Argument mehr, das gegen die Zulässigkeit von DEFORMUS spricht.
Da Apuleius im 2. Jh.n.Chr. lebte, hätte das OLD, (das nur Wörter, die bis etwa 200 belegt sind, berücksichtigt), dieses Wort normalerweise berücksichtigen müssen.