Heute bin ich auf einen rätselhaften Eintrag in L&S gestoßen:
Zitat von L&Scalla, v. calsa.
Es gibt nämlich kein Stichwort calsa!
calla ist als Plural von callum (Schwiele) ein gültiges Wort. Aber was sollen wir von calsa halten?
Ich habe in L&S nur eine weitere Stelle gefunden, wo calsa vorkommt:
Zitat von L&Sărātĭo, ōnis, f. [aro] . I. A ploughing, and in gen. the cultivation of the ground, agriculture : iteratio arationis peracta esse debet, si, etc., Col. 11, 2, 64: aratione per transversum iterata, Plin. II. Meton. (abstr. for concr.), ploughed land, Plaut. Truc. 1, 2, 47 (cf. aratiuncula): (calsa) nascitur in arationibus, Plin. 27, 8, 36, § 58.— Esp., in Roman financial lang., the public farms or plots of land farmed out for a tenth of the produce (cf. arator, I. B.), Cic. Phil. 2, 39 fin. ; id. Verr. 2, 3, 98.
36 Calyx duorum generum est una similis aro nasci 58 35 tur in arationibus colligitur antequam inarescat usus eosdem habet quos ans bibitur quoque radix huius ad exinaniendas --------------- 34 calyx] Dal. calsa C. haro, V. baro, E.
Der textkritische Apparat 34 calyx] Dal. calsa C. besagt also, dass die Lesart CALSA im Codex C überliefert ist, während die Lesart CALYX eine Konjektur/Emendation von Dalecampus ist.
Zu den Codices findet sich in der wissenschaftlichen Ausgabe von Detlefsen Folgendes:
Die Lektüre der ganzen langen Praefatio, wo Detlefsen sich auf Latein über die Überlieferungssituation auslässt, erspare ich mir aber. Jedenfalls werden unter der Bezeichnung C gleich mehrere Einzelcodices (E F G R V a d) zusammengefasst. In all diesen Codices ist also die Lesart CALSA überliefert. Dessen ungeachtet schließt sich Detlefsen der Meinung von Dalecampus an und übernimmt in seiner Ausgabe die Konjektur/Emendation CALYS - eine Lesart, die auch in der Ausgabe der Bibliotheca Augustana gewählt wurde.
Doch wer war Dalecampus? Ist er eine zuverlässige Quelle?
Bei Dalecampus handelt es sich um einen der wichtigsten Botaniker (unter anderem!) der Renaissance. Sein französischer Name lautet Jacques Daléchamps (16. Jh.). Er übersetzte antike naturwissenschaftliche und medizinische Werke, so unter anderem Plinius. Es ist daher anzunehmen, dass er sich sehr gut mit der von Plinius behandelten Materie auskannte.
Jedenfalls scheint nicht nur im L&S, sondern auch im Georges die Lesart CALYX als Stichworteintrag auf, was plausibel ist, da dieses Wort gleich mehrere Spezialbedeutungen hat, die sich jedoch alle auf die gemeinsame Grundbedeutung "Schale, Hülle" reduzieren lassen:
Zitat von Georges auf http://www.zeno.org/Georges-1913/A/calyx[942] calyx, ycis, m. (κάλυξ, v. καλύπτω, also) = jede Hülle: dah. I) die Knospe, der Blumenkelch, [943] rosae, lilii, Plin. – II) die weichere Schale der Früchte (Ggstz. putamen), echinatus (castanearum), Plin.: pulvinatus (nucum), Plin. – III) die Schale der Schaltiere, calyces cochlearum, Plin.: calyces echinometrarum, Plin. – IV) die Eierschale, ovorum calyces, Plin. 28, 19. – V) die Wachshülle um das Obst, damit es vor dem Verderben geschützt wird, Plin. 15, 64. – VI) eine unbekannte Pflanze, Plin. 27, 58 sq.
Leider schweigt sich Detlefsen darüber aus, ob und wenn ja, wo (in welchem Codex oder als Konjektur von welchem Altphilologen) die Lesart CALLA vorliegt.
Fakt ist jedenfalls, dass das Wort CALSA in den Codices E F G R V a d belegt ist, wobei wir nicht wissen, wie verderbt (lesbar/unleserlich) diese Textstelle jeweils in diesen Codices ist.
Wir müssen nun mit unserem Wissen Stellung beziehen, wie wir in unserem latin.dic verfahren wollen.
Halten wir fest:
• CALSA ist überliefert. Wie verderbt die Textstelle in den unter der Bezeichnung C zusammengefassten Codices E F G R V a d tatsächlich ist, wissen wir nicht. • CALYX ist eine modernere Konjektur/Emendation von Jacques Daléchamps alias Dalecampus. CALYX ist aufgrund des separaten und eindeutigen Stichworteintrags aber sowieso ein gültiges Wort und stellt somit kein Problem dar. • Von einer Lesart CALLA ist im textkritischen Apparat bei Detlefsen nicht die Rede. Wir wissen nichts über das Wort CALLA. Woher L&S diesen Eintrag nimmt, ist schleierhaft. Allerdings ist CALLA der Plural von CALLUM,-I und daher sowieso gültig.
callum, i, n. (callus, i, m., Cels. 5, 18, 36; 5, 26, 31 al.; Domit. Mars. ap. Charis. p. 55; plur. calli, Scrib. Comp. 37; 205; Suet. Aug. 80) [cf. Gr. καλαμη; Lat. culmus, culmen]. I. The hardened, thick skin upon animal bodies : fere res omnes aut corio sunt Aut etiam conchis aut callo aut cortice tectae, Lucr. 4, 935: calceamentum solorum callum, Cic. Tusc. 5, 32, 90: pedum, Plin. 22, 25, 60, § 127; cf. id. 9, 35, 54, § 108.— Plur., Suet. Aug. 80.—Hence, B. Meton. 1. The hard flesh of certain animals : aprugnum, Plaut. Poen. 3, 2, 2; id. Pers. 2, 5, 4; for which absol. callum, id. Capt. 4, 3, 4; id. Ps. 1, 2, 33: manus elephanti, Plin. 8, 10, 10, § 31: locustarum, id. 9, 30, 50, § 95.— 2. The hard skin or the hard flesh of plants : uvarum, Plin. 14, 1, 3, § 14: pirorum ac malorum, id. 15, 28, 34, § 116: fungorum, id. 22, 23, 47, § 96: foliorum, id. 16, 22, 34, § 82; Pall. Mart. 10, 28 al.— 3. The hard covering of the soil : terrae, Plin. 17, 5, 3, § 33; 19, 2, 11, § 33; 31, 4, 30, § 53; also, of the hardness of salt : salis, id. 16, 12, 23, § 56.— II. Trop., hardness, callousness, insensibility, stupidity (rare; most freq. in Cic.): ipse labor quasi callum quoddam obducit dolori,renders callous to pain Cic. Tusc. 2, 15, 36; 3, 22, 53; id. Fam. 9, 2, 3: ducere, Sen. Cons. ad Marc. 8, 2: inducere, Quint. 12, 6, 6.
CALLA ist eine gültige Beugungsform von CALLUM,-I (die Schwiele) und wird selbstverständlich ins latin.dic aufgenommen.
Bei CALSA stellt sich die Frage, wie wir verfahren wollen. Es gibt zwei Möglichkeiten:
1. Entweder wir sagen, dass im L&S eindeutig ein Fehler vorliegt, weil das Wort doch belegt ist, und wir nehmen CALSA ohne Beugungsformen auf. 2. Oder wir sagen: Da im L&S kein Eintrag für CALSA vorhanden ist und es so zu sein scheint, dass zumindest manche moderne Ausgaben tatsächlich die Lesart CALYX bevorzugen, folgen wir trotz des offensichtlichen Fehlers dem L&S und ignorieren ebenfalls das Wort CALSA, indem wir es nicht ins latin.dic aufnehmen.
Variante 2 dürfte für uns jedenfalls die einfachere Lösung sein. Gestützt wird diese Lösung Nr. 2 sowohl durch den Georges als auch den Langenscheidt, wo es weder einen Eintrag für CALSA noch einen für CALLA gibt.