Zitat von linhart auf Ich habe mir jetzt noch mehrere solche Fälle angesehen (z.B. caupo, exsul, lada). Ich denke, wir sollten alle Wörter akzeptieren, die in der pdf-Version fettgedruckt sind, unabhängig davon, ob sie als eigenes Stichwort auftreten. Das ist zwar etwas aufwändiger zu überprüfen, aber bei der Eintragung als eigenes Stichwort sind L&S nicht konsequent vorgegangen. Ähnlich wie bei aros gibt es z.B. zu den beiden Varianten copo und cupo von caupo auch nur bei einem ein eigenes Stichwort (nämlich copo).
Bei Varianten von grammatikalischen Formen ist das etwas schwieriger, weil die niemals fettgedruckt sind. Hier muss ich noch überlegen. Ein typisches Beispiel stellen hier vielleicht die Formen ethe und ethesin von ethos dar.
Interessanterweise steht ethe in der Spellcheckerliste, ethesin aber nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich sonst noch irgendwelche Beugungsformen von ethos aufnehmen soll. (Das θ von ηθος fehlt übrigens bei Glossa.)
ETHOS ist also zum einen als griechisches Fremdwort mit einem Kreuz † gekennzeichnet, zum anderen handelt es sich bei beiden Bedeutungen jeweils um ein durch einen Asterisk * gekennzeichnetes Hapax legomenon, was den Fall nicht einfacher macht.
An sich vermittelt der Stichworteintrag ēthos,-ĕos, n. den Eindruck, dass sämtliche Beugungsformen zulässig sein müssten. Doch dann kommen die Hapax-legomenon-Belege. In der Bedeutung II ist eine Plinius- und eine bei dem Grammatiker Nonius Marcellus (A.D. 280) zitierte Varro-Stelle angegeben. Plinius und Varro halte ich an sich für seriöse Quellen (im Gegensatz zu irgendwelchen Inschriften von Steinmetzen, die die Sprache nicht unbedingt so gut beherrschten wie gebildete Literaten); wie es sich mit Nonius Marcellus verhält, müsste im Grunde genommen erst überprüft werden *). Spontan würde ich jedenfalls sagen, dass wir die Formen ETHE und ETHESIN als zulässige Nebenformen ins latin.dic aufnehmen können.
Mir stellt sich inzwischen aber die Frage, wie wir mit den anderen Beugungsformen verfahren sollen, wenn L&S, wie sonst auch üblich, den Nominativ und den Genitiv Singular angibt, was eigentlich impliziert, dass sämtliche Formen des Paradigmas zulässig wären - Formen, die aber höchstwahrscheinlich gar nicht belegt sind, da es sich doch um ein Hapax legomenon handelt. Die Grundsatzentscheidung, wie wir hier zu verfahren gedenken, haben wir noch gar nicht gefällt.
Vielleicht sollten wir uns, was die Wortformen von Hapax legomena betrifft, an unserer Grundsatzentscheidung Lemmatisierte Einträge von Wortformen, die als solche ungebräuchlich waren orientieren und diese der Einfachkeit und Hantierbarkeit halber auf die Formen der Hapax legomena ausweiten. Das würde konkret bedeuten, dass das komplette (regelmäßige) Deklinationsparadigma von ETHOS zulässig wäre.
Fußnote:
*) [EDIT] Ich habe eben die besagte Textstelle bei Nonius Marcellus als Zitat in einem anderen Werk gefunden (leider nicht in einer Nonius-Ausgabe selbst): http://www.archive.org/stream/delphincla.../search/ethesin Ich kann nichts Kritisches oder Textkritisches zu dieser Belegstelle sagen. Ich denke, die Ablativform ethesin ist OK.
PS: Hast du das komplette griechische Beugungsschema von ETHOS, Linhart? Oder soll ich in der Organon-Grammatik nachschauen und dir die Endungen posten?
Derzeit habe ich folgende Formen von ETHOS in meiner Liste:
ETHOS ETHEOS ETHE ETHESIN
Ich richte mich bei griechischen Wörtern nach den Deklinationsmustern in den Grammatiken von Bennet und Allen-Greenough, die im Wesentlichen übereinstimmen dürften. Dort finde ich aber kein Muster, das zu ETHOS, -EOS passt.
Wenn du einen Link zu der Organon-Grammatik hast, würde er mich schon interessieren. Wenn nicht, dann poste bitte einmal die Formen von ETHOS.
Ich denke aber, dass wir im Allgemeinen nicht einfach die griechischen Endungen übernehmen dürfen, wenn es dafür keinen Beleg in einer Latein-Grammatik oder in L&S gibt.
Frühestens heute Abend kann ich die Beugung von ETHOS eruieren.
Meine Organon-Grammatik ist ein normales Buch. Die habe ich noch von den ersten Semestern meines Latein-Studiums, als ich das Graecum machen musste. Das war 1976-1977. Ich weiß nicht, ob es heute eine Online-Version der Organon-Grammatik gibt.
Ich habe mal in meiner Grammatik rumgeguckt, aber ich bin doch unsicher, nach welchem Schema τὸ ἦθος (neutrum) (Charakter, Sitte, Lebenseinstellung) dekliniert werden soll.
Da habe ich lieber mal nach der Deklination von ἦθος gegoogelt und habe u.a. diese pdf-Datei der Uni Wien gefunden:
Die Uni Wien dürfte doch eine zuverlässige Quelle sein, gell, Linhart? ;-)
Demnach müsste das latinisierte Paradigma so lauten:
ETHOS ETHEOS ETHEI ETHOS ETHO ?
ETHE ETHON ETHESIN ETHE ETHESIN
(ohne Gewähr)
Der Genitiv Singular ist etwas merkwürdig: Man würde laut Paradigma erwarten ETHOUS oder ETHUS (?), aber da L&S die Form ETHEOS angibt, nehmen wir natürlich die. Ich nehme an, dass sich diese Form durch Ausfall des S aus ETHESOS entwickelt hat. Problematisch ist der lateinische Ablativ Singular, weil ich nicht weiß, wo ich den aus dem griechischen Nichts herzaubern soll. Sollen wir es wagen, einfach ganz frech anzunehmen, dass der Ablativ ETHO heißt? Der Ablativ Plural ist kein Problem, denn der ist immer identisch mit dem Dativ.
Zu den latinisierten Beugungen von ETHOS finde ich auf der Seite http://perseus.uchicago.edu/cgi-bin/phil...rseusMonographs der Allen/Greenough-Grammatik leider nichts, was zu unserem Neutrum der 3. Deklination (τὸ ἦθος) passen würde. Ich habe das Gefühl, dass die Beugung von Orpheus noch am ehesten in Frage kommen könnte, aber leider ist Orpheus ja ein Eigenname, maskulin und ohne Plural, weshalb wir da nicht recht weiterkommen. Irgendwie schade, denn bei OCE sind wir so schön vorangekommen und haben unser Beugungsschema komplett und offensichtlich auch korrekt erstellt. Bei den Beugungsformen von lateinisch ETHOS haben wir hingegen immer noch den Unsicherheitsfaktor, auch wenn uns das komplette, korrekte Beugungsschema auf Griechisch vorliegt...
Das griechische Beugungsschema wird schon stimmen, ich habe aber Bedenken, es einfach zu übernehmen. Speziell der Genitiv Plural ETHON kommt mir angesichts des unrichtigen OCON problematisch vor. Und für den fiktiven Ablativ ETHO sehe ich auch kein überzeugendes Argument.
Ich werde es daher vorläufig bei den oben von mir angegebenen Beugungsformen belassen.
Vielleicht finden wir ja noch ein anderes Wort, das zu ETHOS analog ist, und bei dem mehr Formen belegt sind.
Zitat von Bussinchen im Beitrag #10 Ich werde bei nächster Gelegenheit mal bei Friedrich Neue nachschauen, was ich zu den latinisierten Beugungsformen des Gräzismus ETHOS finde...
Ich finde im Neue nichts für uns Relevantes. Ich glaube, der Thesaurus wäre auch in diesem Fall die zuverlässigste Quelle... Hei mi miselle Linhartule...!!!
Und hier der Vollständigkeit halber auch noch der Georges-Artikel:
Zitat von Georgesēthos, eos, n. (ἦθος), I) die Sitte, Moral, Sidon. carm. 15, 101. – II) Plur. ēthē (ἤθη), Stimmungen und Gefühle, sensus hominis expressit, quae vocant Graeci ethe, Plin. 35, 98: in ethesin (poscit palmam) Terentius, Varro sat. Men. 399 B. (wo also griech. Abl. ethesin).
Warst wieder eifrig, mein liebes Linhärtchen, und hast in der Unibibliothek recherchiert! Hab allerherzlichsten Dank für deine tollen Bemühungen!!!
Was ergibt sich nun daraus? - Leider nicht sehr viel, so wie ich die Sache sehe.
Fassen wir zusammen:
• Laut OLD wäre an Formen möglich: ethos, etheos, ethesin. • Laut Thesaurus wären folgende Formen möglich: ethos, ethesin, ethe. • Und im Georges sind folgende Formen angegeben: ethos, etheos, ethesin, ethe. • Im L&S waren ebenfalls diese vier Formen angegeben: ethos, etheos, ethesin, ethe. Mehr Formen sind offensichtlich nicht belegt.
Zitat von L&S, Glossa.exe, http://athirdway.com/glossa/?s=ethosēthos, ĕos, n., = ηθος. * I. Manners, morals, Sid. Carm. 15, 101.—* II. A depicting of character. — In acc. plur. : ethē, Plin. 35, 10, 36, § 98; in abl. plur. : in ethesin Terentius poscit palmam, Varr. ap. Non. 374, 9.
etheos scheint als Form nirgends konkret belegt, sondern von OLD, L&S und Georges lediglich logisch erschlossen zu sein.
Mein Fazit lautet nun:
Aufgrund dieser Angaben würde ich nun dafür plädieren, nur die vier Formen ETHOS, ETHEOS, ETHESIN, ETHE ins latin.dic aufzunehmen und in die Kategorie 1 der Gräzismen einzupflegen.
Die von mir logisch erschlossenen Formen ETHEI und ETHON sowie eventuell ETHO (?) (siehe meinen Beitrag #5 müssen somit - leider - unberücksichtigt bleiben.
Consentisne, mi carissime Linhartule ex L&S ?
Hier ist übrigens die Plinius-Stelle Nat. 35, 98, wo angeblich die Form ethe belegt ist:
Zitat von Plin. Nat. 35,98 auf http://penelope.uchicago.edu/Thayer/L/Ro..._Elder/35*.html98 Aequalis eius fuit Aristides Thebanus. is omnium primus animum pinxit et sensus hominis expressit, quae vocant Graeci ηθη, item perturbationes, durior paulo in coloribus.