Das ist ein Spruch von Martial, der mir wegen seiner optimistischen Lebenssicht gefällt.
Das Lösungswort (ein Bingo) kann an zwei bis drei verschiedenen Stellen angelegt werden und erinnert ein wenig an mehrere bekannte Persönlichkeiten der deutschen Scrabbleszene, die auch wieder an der vor Kurzem stattgefundenen Deutschen Meisterschaft teilgenommen haben.
Hierbei handelt es sich um ein Spottgedicht, in dem sich Martial in ironischem Ton über die maßlos übertrieben pompösen und aufwändigen Spiele lustig macht, die der selbstherrliche Stella - offenbar ein Feldherr - anlässlich des Sieges des Kaisers Domitian über die Völkerschaften der Catti und Daci veranstaltete.
Der Kontext für den Spruch der Brettkonstellation des 73. Aenigmatis ist also ein etwas anderer, als das aus dem Zusammenhang herausgerissene Zitat zunächst vermuten lässt:
Quos cuperet Phlegraea suos uictoria ludos, Indica quos cuperet pompa, Lyaee, tuos, fecit Hyperborei celebrator Stella triumphi, o pudor! o pietas! et putat esse parum. Non illi satis est turbato sordidus auro 5 Hermus et Hesperio qui sonat orbe Tagus. Omnis habet sua dona dies: nec linea diues cessat et in populum multa rapina cadit; nunc ueniunt subitis lasciua nomismata nimbis, nunc dat spectatas tessera larga feras, 10 nunc implere sinus securos gaudet et absens sortitur dominos, ne laceretur, auis. Quid numerem currus ter denaque praemia palmae, quae dare non semper consul uterque solet? Omnia sed, Caesar, tanto superantur honore, 15 quod spectatorem te tua laurus habet.
Diese Textversion stimmt im Wortlaut exakt überein mit der aus der wissenschaftlichen Oxford-Ausgabe von W. M. Lindsay aus der Reihe Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxonii, 2. Auflage, 1929, Nachdruck 1969, die ich noch aus der Zeit meines Lateinstudiums hier zu Hause in meinem Bücherregal stehen habe.
Als kleine Hilfestellung von mir zu Prosa umgestellte Wortfolge:
Ludos quos uictoria Phlegraea cuperet suos, quos cuperet pompa Indica, Lyaee, tuos, fecit Stella, celebrator triumphi Hyperborei, o pudor! o pietas! et putat esse parum. Illi satis non est Hermus turbato auro sordidus et Tagus qui orbe Hesperio sonat. Omnis dies habet sua dona: nec linea diues cessat et multa rapina in populum cadit; nunc ueniunt subitis nimbis lasciua nomismata, nunc dat larga tessera feras spectatas, nunc gaudet auis implere sinus securos, et absens, ne laceretur, sortitur dominos. Quid numerem currus ter denaque praemia palmae, quae non semper uterque consul dare solet? Sed omnia, Caesar, tanto honore superantur, quod tua laurus te spectatorem habet.
Meine eigene Übersetzung - extra für dich, carissime Linhartule:
Solch (aufwändige) Spiele, die für den Phlegräischen Sieg angemessen gewesen wären, (oder) die zu deinem indischen Triumphzug, Lyaeus, gepasst hätten, hat Stella veranstaltet, als er den hyperboreischen Triumph feierte, und hielt dabei - oh Schande! oh Pflichtgefühl! - den Aufwand für (immer noch) zu gering! Dem reicht (doch) nicht ein ordinärer (Fluss) Hermus, der aufgewirbeltes Gold mit sich führt, 5 und nicht ein (legendärer Goldfluss) Tagus, wie er in abendländischen Gefilden dahinrauscht. Jeder Tag bringt seine Gaben: Es reißt nicht ab diese reichlich ausgestattete Schnur und ohne Unterlass regnet geraubte Siegesbeute aufs Volk herab; mal kommen plötzliche Platzregen üppiger Münzen dann wieder berechtigt ein fetter Gutschein zum Empfang der zur Schau gestellten wilden Tiere,10 und dass er seinen Herren in den sicheren Schoß fällt, darüber freut sich - in seiner Abwesenheit, damit er nicht in Stücke gerissen wird -, bei der Verlosung manch ein Vogel Wozu soll ich aufzählen die Wagen und die dreimal zehn Siegespreise, welche gar nicht immer ein jeder der beiden Konsuln darzubieten pflegt? Doch all dies, Caesar, wird in den Schatten gestellt durch die gigantische Ehre, 15 dass dich deine eigenen Lorbeeren zum Zuschauer haben.
Zum Verständnis notwendiges Hintergrundwissen für den modernen Leser:
☞ siehe Georges
[1690] Phlegra, ae, f. (Φλέγρα = φλεγυρά, brennend), alter Name der westl. Landspitze der mazedonischen Halbinsel, später Pallene gen., wo nach der Sage die im Kriege mit den Göttern begriffenen Giganten durch Blitze getötet wurden, Plin. 4, 36. Sen. Herc. fur. 444 (448). – Dav. Phlegraeus, a, um (Φλεγραιος), a) brennend, vertex (Vesuvii), Sil.: campi, eine schwefelreiche Ebene zwischen Puteoli u. Neapel, die heutige Solfatara, Plin. – b) in-, aus-, bei Phlegra in Mazedonien, phlegräisch, campi, Ov.: iuga, Prop.: tumultus, Krieg der Giganten mit Jupiter, Prop. – übtr., campus, bei Pharsalus od. Philippi, wegen des blutigen u. hitzigen Gefechtes, Prop. 3, 11, 37.
[3103] Hyperborēī, ōrum, m. (Ὑπερβόρειοι), die »über den Boreas hinaus Wohnenden«), die Hyperboreer, ein fabelhaftes Volk, dessen Wohnsitze man in den äußersten Norden (den die Griechen nach der frühesten Erdfunde in Thrazien annahmen) setzte, Cic. de nat. deor. 3, 57. – Dav.: A) Hyperborēus, a, um, hyperborëisch, nördlich, glacies, Verg.: ursa, Lucan.: triumphus, des Domitian über die Catti u. Daci, Mart. – B) Hyperboreānus, a, um, hyperboreanisch, Hieron. in chron. Euseb. ad ann. ante Chr. 1560.
[3040] Hermus, ī, m. (Ἕρμος), der Hauptfluß Lydiens, der Goldkörner mit sich führte, j. Sarabad od. Kodos, Ghiediz Chai, Verg. georg. 2, 137. Mela 1, 17, 3 (1. § 89).
[3011] 1. Tagus, ī, m., ein Fluß in Hispanien, span. Tajo, portug. Tejo, bekannt wegen des Goldsandes, den er mit sich führte, Mela 3, 1, 6 (3. § 8). [3011] Liv. 21, 5, 8. Ov. am. 1, 15, 34. Stat. silv. 1, 2, 127. Mart. 1, 49, 15.
[3042] Hesperius, a, um (εσπέριος), hesperisch = nach Abend zu gelegen, abendländisch, fretum, Abendmeer, Ov.: axis, Okzident, Ov.: rex, Hesperus od. Atlas, Ov.: terra, das Abendland = Italien, Verg.: ebenso Latium, Verg. – subst., Hesperia, ae, f. (sc. terra), Hesperien = das Abendland, teils Spanien, Hor., teils Italien, Verg.
Es gibt auch eine moderne deutsche Übersetzung in:
Epigramme. Gesamtausgabe: Lateinisch-deutsch (Sammlung Tusculum) Gebundene Ausgabe – 29. Mai 2013 von Paul Barié (Herausgeber), Winfried Schindler (Herausgeber), Martial (Autor)
Wenn man dort bei amazon.de auf Blick ins Buch klickt und links in der Suche ins Eingabefeld z.B. das erwartungsgemäß eindeutige Treffer erzielende lateinische Wort Phlegraea eingibt, wird einem als erster Treffer das Epigramm 8,78 auf Latein angezeigt, das, wie ich es erlebt habe, leider nicht in der normal aufrufbaren Leseprobe enthalten ist. Nun kann man einfach etwas hinunterscrollen, dann kommt man auf die nächste Seite, auf der die deutsche Übersetzung dieses Epigramms steht. Oder: Wenn man das deutsche Adjektiv Phlegräische in genau dieser gebeugten Form in die Suche eingibt, wird einem direkt als erstes Ergebnis die gesuchte deutsche Übersetzung von Martial 8,78 angezeigt.
Leider ist diese Übersetzung urheberrechtlich geschützt. Deshalb habe ich hier fürs Forum meine eigene Übersetzung mit eigenem Wortlaut angefertigt, die der von der Tusculum-Ausgabe sicher in nichts nachsteht.
Zitat von linhart im Beitrag #3Ich glaube ja, dass Zitate oft ein Eigenleben entwickeln.
Im konkreten Fall gibt es z.B. ein Zitat von Albert Schweitzer, das möglicherweise auf diesen Spruch von Martial zurückgeht
Ain' vero? Certe, sic est, mi carissime Linhartule, aio! Und so wie Albert Schweitzer kann man diesen Spruch dann selbstverständlich auch auffassen. Das war von meiner Seite her auch gar nicht als Kritik gemeint.
Dennoch: Mich fasziniert nun als ursprünglicher Kontext deiner Aenigma-Brettkonstellation dieses Martial-Epigramm, ist es - wie sehr viele andere Epigramme von Martial - doch zugleich auch ein wertvolles Zeitzeugnis, aufgrund dessen wir uns heute ein Bild davon machen können, wie es zu Kaiser Domitians Zeit in Rom zuging.
Wenn ich das Martial-Epigramm lese, dann muss ich gleich an heutige Faschingszüge denken, wo von den Wagen Unmengen von Bonbons und Konfetti in die Volksmenge geworfen werden! Im alten Rom hätte man dabei sein müssen! Da wurden also tatsächlich Geldmünzen und Wertsachen aus der Kriegsbeute in die Menschenmenge geworfen, und zwar in so rauen Mengen, dass alles Gold aus den Flüssen Tejo (= in der Antike Tagus genannt, in Spanien) und Sarabat (= in der Antike Hermus genannt, in der heutigen Türkei, siehe http://elexikon.ch/gediztschai und http://elexikon.ch/hermos/17_0433) nicht reichte... oder ironisch: dass alles Gold aus diesen Flüssen nur ein Dreck (sordidus) war gegen das, was dieser (Feldherr?) Stella unters Volk werfen ließ! Dann muss ich auch ein bisschen an heutige Volksfeste denken, wo es Losbuden gibt und wo man spielen kann und und und... Da war sicher ganz schön was los bei diesem Triumphzug, der gigantischer war als ein denkbarer Triumph nach Gott Juppiters (!) Sieg über die Giganten (!), der nichts gewesen wäre im Vergleich zu Stellas bombastischer Veranstaltung! Und das Bild von den Vögeln, die "in ihrer eigenen Abwesenheit" verlost werden, zeigt, wie der Pöbel im Tumult über die Stränge schlägt und sich um alles rauft, um ja so viel wie möglich zu ergattern und an sich zu raffen von all den gratis Gaben, die jeder Tag bringt: Das hätte kein lebendes Geflügel überlebt, wenn man es während der Verlosung zur Sicherheit nicht weggesperrt hätte... Regelrecht zerrissen und zerfetzt hätte diese Vögel im Gedränge der habgierige Pöbel...
Mir kommt das Gedicht jetzt fast schon wie eine Filmsequenz vor... Ich kann mir das ganz toll vorstellen... Ich sehe diese turbulenten Szenen vor meinem inneren Auge...
Ach ja, anzumerken wäre noch, dass Lyaeus ein Beiname des Gottes Bacchus ist! Das hatte ich bis eben übersehen bzw. wusste das nicht, aber als ich nun auf die Idee kam, auch einmal den Namen Lyaeus im L&S und dann auch noch im Georges nachzuschlagen, wurde ich fündig! Also haben wir auch hier wieder den etwas versteckten Hinweis auf einen Gott - Juppiter im Vers 1 und Bacchus im Vers 2. Das heißt, Stella maßt sich mit seinen pompösen Spielen mehr an als den Göttern gebührt!
Was es allerding mit der feierlichen Prozession in Indien oder dem indischen (Um-)Zug (Indica pompa) oder Triumph von Bacchus auf sich hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Interessant ist jedoch, dass es in Sousse, Tunesien, ein römisches Mosaik gibt, auf dem ein Triumph des Bacchus dargestellt ist (siehe den Artikel http://fr.wikipedia.org/wiki/Triomphe_romain in der französischen Wikipedia)!
Lyaeus, i, m., = λυαιος, Lyæus, the relaxer, unbender, deliverer from care. I. A surname of Bacchus : patri Lyaeo, Verg. A. 4, 58: corniger Lyaeus, Ov. Am. 3, 15, 17; id. M. 4, 11; 8, 274; 11, 68; Verg. G. 2, 229 al.— II. Transf., wine : uda Lyaeo Tempora, Hor. C. 1, 7, 22: Curam Dulci Lyaeo solvere, id. Epod. 9, 37: illic apposito narrabis multa Lyaeo, Ov. Am. 2, 11, 49.— Hence, Lyaeus, a, um, adj.: regales inter mensas laticemque Lyaeum, the Lyæan liquid, i. e. wine, Verg. A. 1, 686.
ich habe mittlerweile Folgendes herausgefunden: Wenn man in der zweisprachigen lateinisch-deutschen Tusculum-Ausgabe auf Blick ins Buch klickt und dort links in die Suche das Wort Phlegräischen in genau dieser Form eingibt, dann erhält man als Treffer die sehr aufschlussreiche Seite mit den inhaltlichen Erläuterungen (Kommentaren) zu diesem Epigramm 8,78. Diese Erläuterungen halte ich für lesenswert.
Opto, ut valeas, mi amate amice. Tua Bussinatrix, quae tristis et maesta perpetuo tui meminit.
Das Lösungswort ist CLAUDAS (von claudere, schließen, oder claudus, hinkend) und erinnert an drei Scrabblerinnen mit dem Vornamen Claudia, nämlich Aumüller (Organisatorin der Scrabbinale Berlin), Benning und Mansfeldt, sowie an Claude Rabineau.
CLAUDAS kann auf 1D, 1B und 12B angelegt werden und bringt dort 125, 116 bzw. 87 Punkte. Dabei ergeben sich die folgenden Querwörter:
DOMNIS (seltene Variante von DOMINIS, von dominus, Herr), SOMNIS (von somnus, Schlaf), DONAS (von donare, schenken).
Zur richtigen Lösung gratuliere ich Christoph Haenel, Gerhard Fernau und Bussinchen. Bravo!