LVGETE, o Veneres Cupidinesque, et quantum est hominum uenustiorum: passer mortuus est meae puellae, passer, deliciae meae puellae, quem plus illa oculis suis amabat. nam mellitus erat suamque norat ipsam tam bene quam puella matrem, nec sese a gremio illius mouebat, sed circumsiliens modo huc modo illuc ad solam dominam usque pipiabat. qui nunc it per iter tenebricosum illuc, unde negant redire quemquam. at uobis male sit, malae tenebrae Orci, quae omnia bella deuoratis: tam bellum mihi passerem abstulistis o factum male! o miselle passer! tua nunc opera meae puellae flendo turgiduli rubent ocelli.
Weint, ihr Grazien und ihr Amoretten, Und was Artiges auf der Welt lebt! meines Mädchens Sperling ist tot, des Mädchens Liebling, Der ihr lieb wie der Apfel in den Augen, Und so freundlich, so klug war und sie kannte Wie ein Töchterchen seine Mutter kennet; Er entfernte sich nie von ihrem Schoße, Sondern hüpfte nur hin und wieder, piepte, Seiner Herrin das Köpfchen zugewendet. - Ach! nun wandert er jene finstere Straße, Die man ewiglich nicht zurücke wandert. O! wie fluch ich dir, finstrer alter Orkus, Der du alles, was schön ist, gleich hinabschlingst! Uns den Sperling zu nehmen, der so hübsch war! Welch ein Jammer! O Sperling, Unglückselger! Hast gemacht, dass mein trautes Mädchen ihre Lieben Äugelchen sich ganz rot geweint hat.
Sie ist auch ziemlich wörtlich, aber übersichtlicher und besser als die von nodictionaries. Dort fehlt z.B. die Übersetzung des Wortes uenustiorum (=venustiorum, von venustus, auf englisch "charming").
Freiere Übersetzungen erschweren dagegen eher das Verständnis des Originals.
Wann findet man schon solche schönen Vertonungen! Ich finde die Darbietung von Tyrtarion gelungen, weil die Metrik nach meinem Dafürhalten dadurch sehr gut herausgearbeitet wird!
Ich danke dir, dass du die englische Wikisource-Übersetzung dazu rausgesucht hast! Den Service, den nodictionaries anbietet, betrachte ich nebenbei bemerkt nicht als Übersetzung, sondern als reine Vokabelhilfe, wobei ich jetzt nicht überprüft habe, ob bei dem Catull-Gedicht alle Angaben zu den Vokabeln auch wirklich stimmen.
Ich kann ja mal eine eigene Übersetzung machen. Ich mache ja immer erst eine Rohübersetzung, ganz wörtlich und unelegant, und dann mache ich eine freie und gut klingende Übersetzung, die sich flüssig liest. Mal sehen...
Das Problem bei nodictionaries besteht vor allem darin, dass die Vokabel zumindest größtenteils irgendwie automatisch aus einem Wörterbuch herausgesucht werden, und dann wird natürlich oft keine wirklich passende Bedeutung angegeben. Ein typisches Beispiel ist "modo". Hier wird
Zitat only, merely; just now/recently, lately; presently
angegeben, ohne Rücksicht darauf, dass es ja zweimal hintereinander auftritt, also "modo ... modo ...". Die richtige Bedeutung ist hier lt. Georges "bald ... bald ...".
Jetzt mache ich erst mal eine wortwörtliche Rohübersetzung, zwecks besserer Nachvollziehbarkeit des lateinischen Textes:
Lugete, o Veneres Cupidinesque, Trauert, oh ihr Liebesgöttinnen und Amoretten et quantum est hominum venustiorum: und wie viel der liebenswürdigeren Menschen es gibt: passer mortuus est meae puellae, Der Spatz meines Mädchens ist gestorben, passer, deliciae meae puellae, der Spatz, der Liebling meines Mädchens, quem plus illa oculis suis amabat. den sie mehr liebte als ihre eigenen Augen. nam mellitus erat suamque norat Denn er war honigsüß und er kannte seine ipsam tam bene quam puella matrem, Herrin so gut wie ein Mädchen seine Mutter, nec sese a gremio illius movebat, und er bewegte sich nicht von ihrem Schoß, sed circumsiliens modo huc modo illuc sondern herumhüpfend bald hierhin bald dorthin, ad solam dominam usque pipiabat. piepte er nur zu seiner Herrin. qui nunc it per iter tenebricosum Nun geht er auf dem Weg voller Dunkelheit illuc, unde negant redire quemquam. dahin, von wo sie niemandem gestatten zurückzukehren. at vobis male sit, malae tenebrae Doch möge es euch schlecht ergehen, schlechte Dunkelheit(en) Orci, quae omnia bella devoratis: der Unterwelt, die ihr alles Schöne verschlingt: tam bellum mihi passerem abstulistis Einen so schönen Spatz habt ihr mir weggenommen. o factum male! o miselle passer! Welch böse Tat! Oh du armer kleiner Spatz! tua nunc opera meae puellae Aufgrund deines Werks werden jetzt die geschwollenen flendo turgiduli rubent ocelli. Äuglein meines Mädchens durch ihr Weinen rot.
Jetzt kommt meine freie Prosa-Übersetzung von Catull, Carmen 3:
Trauert, ihr Götter, die ihr wie Venus und Cupido zu Liebesgefühlen fähig seid, und all ihr Menschen vom liebenswürdigeren Schlag, die ihr Mitgefühl habt: Der Spatz meiner Geliebten ist gestorben, der Spatz, an dem meine Freundin so viel Freude hatte und der für sie ihr ganzer Augenstern war. Der war so süß und goldig und er kannte seine Herrin so gut wie mein Mädchen seine eigene Mutter kennt. Wenn er auf ihrem Schoß war, bewegte er sich nie von der Stelle, sondern hüpfte immer nur hin und her und piepte seine Herrin an. Und nun geht er den finsteren Weg, geht dorthin, von wo niemand jemals mehr zurückkommen darf. Doch möge euch dies übel bekommen, ihr dunklen Schatten des Orcus, die ihr alles Schöne in euren tiefen Schlund hinabzieht: Diesen ach so niedlichen Spatz habt ihr mir genommen, oh Graus. Ach du armer kleiner Piepmatz! Du bist schuld daran, wenn meine Geliebte sich jetzt ihre geschwollenen Äuglein rot weint...
Hier kommt noch einmal der Text von Catull, in dem ich die langen Silben gelb markiert habe, um das Versmaß des Hendekasyllabus deutlich zu machen. Daneben sehen wir die Übersetzung von Eduard Mörike, die ebenfalls in Hendkasyllaben gefasst ist. Um diese herauszuarbeiten, habe ich auch dort analog zum lateinischen Text gelbe Markierungen eingefügt.
Im Dateianhang befinden sich zwei Audio-Dateien mit Rezitationen, die lediglich zu dem Zweck dienen, das Versmaß zu verdeutlichen.
Die dritte Audio-Datei "Catull_Carmen_3_Rezitation.mp3" ist eine Aufnahme, bei der ich versucht habe, das lateinische Gedicht von Catull etwas schöner zu rezitieren.
Pleurez, Grâces ; pleurez, Amours ; pleurez, vous tous, hommes aimables ! il n’est plus, le passereau de mon amie, le passereau, délices de ma Lesbie ! ce passereau qu’elle aimait plus que ses yeux ! Il était si caressant ! il connaissait sa maîtresse, comme une jeune fille connaît sa mère : aussi jamais il ne s’éloignait d’elle ; mais, voltigeant sans cesse autour de Lesbie, il semblait l’appeler sans cesse par son gazouillement. Et maintenant il erre sur ces ténébreux rivages que l’on passe, dit-on, sans retour. Oh ! soyez maudites, ténèbres funestes du Ténare, vous qui dévorez tout ce qui est beau ; et il était si beau, le passereau que vous m’avez ravi ! Ô forfait ! ô malheureux oiseau ! c’est pour toi que les beaux yeux de mon amie sont rouges, sont gonflés de larmes.
Am blödesten im Deutschen wiederzugeben sind die Veneres Cupidinesque im Plural. So richtig verständlich scheint mir das eigentlich nur im Lateinischen zu sein, wenn man die römisch-lateinische Kultur kennt...
Wenn ich's mir recht überlege, dann finde ich die Übersetzung von Eduard Mörike unter Beibehaltung des Versmaßes immer besser! Eigentlich sogar genial! Wie der das nur so toll hingekriegt hat mit dem Inhalt und dem Versmaß! Wer das begreift, hat den doppelten [spielerisch-]sprachlichen Genuss!
Wenn man nach "Weint, ihr Grazien und ihr Amoretten" googelt, erhält man 37.000 Ergebnisse. Dabei erfährt man so allerhand, z.B. dass ein gewisser Friedrich Wilhelm Hezel die Mörike'sche Übersetzung einem gewissen Rammler zuschreibt:
Ja, das ist frappierend! Die Unterschiede der zwischen den Übersetzungen von Rammler und Mörike sind wirklich sehr geringfügig, sodass man kaum von einer neuen Übersetzung sprechen kann. Eigentlich ist es nur eine Überarbeitung...
Ja, interessant, Linhart. Auf die Idee, mal nach "Weint, ihr Grazien und ihr Amoretten" zu googeln, war ich gar nicht gekommen...
Lugete, o Veneres Cupidinesque, et quantum est hominum uenustiorum: passer mortuus est meae puellae, passer, deliciae meae puellae, quem plus illa oculis suis amabat. nam mellitus erat suamque norat ipsam tam bene quam puella matrem, nec sese a gremio illius mouebat, sed circumsiliens modo huc modo illuc ad solam dominam usque pipiabat. qui nunc it per iter tenebricosum illuc, unde negant redire quemquam. at uobis male sit, malae tenebrae Orci, quae omnia bella deuoratis: tam bellum mihi passerem abstulistis o factum male! o miselle passer! tua nunc opera meae puellae flendo turgiduli rubent ocelli.
Die Stimme dieser Spanierin gefällt mir, ebenso die Art, wie sie das Gedicht vorträgt... Es klingt lieblich und die Klangschönheit des Lateinischen kommt gut zum Ausdruck - besser als in meiner eigenen Rezitation, finde ich... Die dezente Musikuntermalung macht sich natürlich auch sehr gut... (Nur das Enjambement bei "Orci" hätte sie ein bisschen herausarbeiten können, um der Syntax besser gerecht zu werden...)
Sei bitte nicht zu bescheiden! Du hast zwar recht, dass sich die Spanierin ganz gut anhört, was aber zum Teil auch an der Musik liegt. Ich finde aber, dass du den Rhythmus mit den Längen und Kürzen viel besser zum Ausdruck bringst, und auch deine Stimm-Melodie ist wesentlich ausdrucksvoller. Und das Enjambement bei Orci hat sie tatsächlich völlig ignoriert.
Ich glaube, dass man das dritte Carmen besser versteht, wenn man auch das zweite kennt. Hier ist es:
Passer, deliciae meae puellae, quicum ludere, quem in sinu tenere, cui primum digitum dare appetenti et acris solet incitare morsus, cum desiderio meo nitenti carum nescio quid lubet iocari et solaciolum sui doloris, credo ut tum gravis acquiescat ardor: tecum ludere sicut ipsa possem et tristis animi levare curas!
Sperling, meines Mädchens Wonne, mit dem sie zu spielen pflegt, den sie an ihrem Schoß zu halten pflegt, ihm ihre Fingerspitze zum Schnäbeln zu bieten und zu heftigem Picken zu reizen, wenn es meiner strahlenden Geliebten beliebt (gefällt) einen netten Scherz zu treiben, und einen kleinen Trost für ihren Schmerz: ich glaube, dann kommt die schwere Glut zur Ruhe: könnte ich mit dir spielen, sowie sie selbst, und meines Geistes triste Sorgen lindern!
Vor allem die letzten beiden Zeilen machen klar, dass der Dichter die Beziehung des Mädchens zu dem Sperling mit seiner Beziehung zu diesem Mädchen vergleicht.
Mich irritiert bloß, dass in der Übersetzung in der vorletzten Zeile das Mädchen einmal mit "dir" und einmal mit "sie" angesprochen wird. Ich verstehe diese Zeile so: könnte ich mit dir spielen, so wie du (mit dem Sperling).