Das ist wieder einmal ein Wort, wo ich mit dem L&S-Eintrag Probleme habe:
Zitat von L&Scomplŭit, ĕre, v. impers. *I. Neutr., to flow together, in raining : quā compluebat compluvium (dictum), Varr. L. L. 5, § 161 Müll.— II. Act., to rain upon; hence, as a pass. : compluor, complutus sum, ŭi, to be rained upon (late Lat.), Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15.
Die aktive Form ist also anscheinend nicht unpersönlich. Dann müsste es eigentlich auch compluo geben, vor allem auch weil die Perfektform complui angegeben ist. Aber wieso ist dieses "ŭi" unter "as a pass." angeführt?
Ich würde vorschlagen, COMPLUO als ganz normales Verb aufzunehmen, wie es auch im Georges steht:
Zitat von Georgescom-pluo, uī, ūtum, ere, I) intr. regnend zusammenfließen, Varr. LL. 5, 161. – II) tr. beregnen, exsultet terra, quam compluunt caeli, Augustin. in psalm. 95, 12 (vgl. 98, 2): verbum dei omnes compluit, Augustin. serm. 4, 31: bes. Partiz. Perf. complūtus, beregnet, imbre saxatili, Solin. 10, 15; u. so oft bei den Eccl.
Zitat von L&Scomplŭit, ĕre, v. impers. *I. Neutr., to flow together, in raining : quā compluebat compluvium (dictum), Varr. L. L. 5, § 161 Müll.— II. Act., to rain upon; hence, as a pass. : compluor, complutus sum, ŭi, to be rained upon (late Lat.), Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15.
Die aktive Form ist also anscheinend nicht unpersönlich. Dann müsste es eigentlich auch compluo geben, vor allem auch weil die Perfektform complui angegeben ist. Aber wieso ist dieses "ŭi" unter "as a pass." angeführt?
Lieber Linhart ex L&S,
hier handelt es sich nicht um die 1. Person Singular, Indikativ Perfekt, Aktiv, sondern vielmehr um den Infinitiv Präsens Passiv.
Der Infinitiv Präsens Aktive heißt complŭ-ĕre, demnach muss der Infinitiv Präsens Passiv complŭ-i lauten.
Wenn man dieses Verb als intransitiv einstuft, wie bei Varro L. L. 5, § 161 und im L&S unter Punkt römisch Eins angegeben, dann wäre kein Passiv möglich. Da dieses Wort aber offenbar, wie in Punkt römisch Zwei angegeben, auch in medio-passivischem Gebrauch belegt ist, wird ein in der Literatur nicht belegtes Aktivparadigma für die zweite Bedeutung logisch rückerschlossen.
Fraglich ist natürlich, ob dieses unpersönliche Verb im Lateinischen tatsächlich auch in der ersten und zweiten Person gebraucht werden kann. Im Französischen ist bei den finiten Verbformen von pleuvoir meines Wissens jedenfalls nur die 3. Person möglich.
Anbei der anklickbare und mit dem Buch verlinkte Screenshot von der Varro-Stelle De lingua Latina, Buch 5, Abschnitt 161:
Als Nächstes werde ich versuchen, die Belege Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15. für die zweite Bedeutung zu finden.
Zwischenbemerkung: Wir sollten vielleicht auch mit PLUO vergleichen. Dort ist in L&S u.a. auch ein persönlicher Gebrauch angegeben. Die Beispiele sind zwar alle in der dritten Person, aber die Tatsache, dass das Stichwort PLUO heißt und im Perfekt PLUI bzw. PLUVI angegeben ist, lässt wohl die Vermutung zu, dass auch die erste und zweite Person zulässig sind.
Zitat von L&Splŭo, plui (or plūvi in Plaut. and Liv.; cf. Prisc. p. 881 P.; Varr. L. L. 9, § 104 Müll.), 3, v. n., usu. impers. (ante-class. and late Lat. also pers.; ) [root plu-, to swim; Gr. πλυνω, to wash; cf.: πλεω, πλευσω, to sail; cf. ploro], to rain; constr. absol., or with abl. or acc.
I. Lit. : pluet credo hercle hodie, Plaut. Curc. 1, 2, 42: ut multum pluverat, id. Men. prol. 63: has Graeci stellas Hyadas vocitare suerunt, a pluendo: υειν enim est pluere, Cic. N. D. 2, 43, 111: aqua, quae pluendo crevisset,by the rain id. Top. 9, 38: quoties pluit, Juv. 7, 179: urceatim plovebat (vulg. for pluebat), Petr. 44, 18.—With acc. : sanguinem pluisse senatui nuntiatum est, Cic. Div. 2, 27, 58 (Klotz, sanguinem): lapides, Liv. 28, 27, 16: terram, id. 10, 33, 8; Vulg. Exod. 9, 23; 16, 4; id. Psa. 10, 7.—With abl.: lacte pluisse,rained milk Liv. 27, 11: lapidibus, id. 35, 9; 21, 62, 5: lacte, sanguine, carne, Plin. 2, 56, 57, § 147.— Pass. : quā pluitur et ningitur, App. Flor. p. 340, 39.—Personally: saxis ferunt pluisse caelum, Mart. Cap. 6, § 642: effigies quae pluit, which rained, came down in rain, Plin. 2, 55, 57, § 147. —
II. Transf., of other things, to rain ( poet. ): nec de concussā tantum pluit ilice glandis, Verg. G. 4, 81: stridentia fundae saxa pluunt, Stat. Th. 8, 416: jam bellaria adorea pluebant, id. S. 1, 6, 10.
Zitat von linhart im Beitrag #3Zwischenbemerkung: Wir sollten vielleicht auch mit PLUO vergleichen. Dort ist in L&S u.a. auch ein persönlicher Gebrauch angegeben. Die Beispiele sind zwar alle in der dritten Person, aber die Tatsache, dass das Stichwort PLUO heißt und im Perfekt PLUI bzw. PLUVI angegeben ist, lässt wohl die Vermutung zu, dass auch die erste und zweite Person zulässig sind.
Zitat von L&SII. Transf., of other things, to rain ( poet. ): nec de concussā tantum pluit ilice glandis, Verg. G. 4, 81: stridentia fundae saxa pluunt, Stat. Th. 8, 416: jam bellaria adorea pluebant, id. S. 1, 6, 10.
Das ist ein sehr guter Einwurf von dir, mi care Linharte. Insbesondere der poetische und übertragene Gebrauch gemäß L&S Punkt römisch Zwei spricht für die Zulässigkeit der persönlich konstruierten Verbformen.
Ich selbst unterscheide in solchen Fragen zwar immer zwischen unpersönlicher Konstruktion (nur die 3. Person Singular ist möglich) und persönlicher Konstruktion mit ausschließlich Inanimata als Subjekt (die 3. Person ist auch im Plural möglich, jedoch nicht die 1. und 2. Person, die Animata als Subjekt voraussetzen), doch da für das Lexem als Nennform im L&S die 1. Person Singular angegeben ist und wir nicht überprüfen können, ob nicht doch irgendwo in der lateinischen Literatur eine 1. oder 2. Person belegt ist (was ich persönlich jedoch kaum glaube), und da die Zulässigkeit von Wortformen für den Scrabbler einigermaßen nachvollziehbar bleiben sollte, tendiere ich nun doch dazu, auch die persönlichen Verbformen zuzulassen.
Zitat von L&Scomplŭit, ĕre, v. impers. *I. Neutr., to flow together, in raining : quā compluebat compluvium (dictum), Varr. L. L. 5, § 161 Müll.— II. Act., to rain upon; hence, as a pass. : compluor, complutus sum, ŭi, to be rained upon (late Lat.), Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15.
Wenn es stimmt, was ich recherchiert habe, nämlich dass es sich bei Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15 um Belegstellen bei Augustin handelt, dann muss ich leider sagen, dass ich nicht fündig geworden bin. Ich habe alle in Frage kommenden Dateien auf http://www.documentacatholicaomnia.eu/20...s,_Sanctus.html und auf http://www.sant-agostino.it/latino/index.htm eingesehen, habe aber nirgends ein Wort mit dem String compl finden können, das sich von compluor, complutus sum, ŭi bzw. complŭit, ĕre ableiten lässt.
De Genesi Ad Litteram Imperfectus Liber De Genesi Ad Litteram Libri Duodecim De Genesi Ad Litteram Libri Duodecim. Admonitio De Genesi Contra Manichaeos Libri Duo. Admonitio Soliloquiorum Adscriptorum Caput Postremum [Incertus] Soliloquiorum Animae Ad Deum [Incertus] Soliloquiorum Libri Duo
Ich weiß nun nicht, ob ich noch woanders die beiden Stellen Aug. Gen. 1, 23; Sol. 10, § 15 finden kann...
Aufgrund der unzulässigen Zeichen in den Links bitte jeweils den gesamten Link kopieren und ins Adressfeld des Browsers einfügen. (Funktioniert leider auch nicht bei jedem Rechner!)
Meiner Meinung nach spricht nach wie vor einiges dafür, alle Formen von compluo zuzulassen. Die Unterscheidung zwischen Animata und Inanimata als Subjekt halte ich für sehr problematisch, da vor allem in poetischen und religiösen Texten bei fast allen Verben auch Animata als Subjekt vorkommen können.
Wenn es z.B. heißt "verbum dei omnes compluit", kann man sich fragen, ob "verbum dei" nicht fast dasselbe wie "deus" bedeutet. Ein Gott kann doch wohl alles beregnen, oder? Und wenn der Gott zu sprechen beginnt, kann er sagen, "Ich beregne die ganze Welt.".
Wenn ich mich richtig erinnere, so habe ich bisher kein einziges Verb so eingestuft, dass es nur in der 3. Person Singular und Plural Aktiv vorkommt, aber in allen Personen im Passiv.
Das einzig Störende ist, dass im L&S das Lemma "compluit" heißt. Das ist ziemlich eigenartig, weil bei allen anderen Komposita von pluo die 1. Person Singular als Lemma angeführt ist (depluo, impluo, perpluo, repluo).
ich habe mich sehr darüber gefreut, dass du die Augustin-Stellen psalm. 95, 12 und serm. 4.31 gefunden hast! Das hast du toll gemacht! Besonders aufgrund der Stelle psalm. 95, 12 mit dem Verb COMPLUUNT im Plural spricht in der Tat einiges dafür, dass wir alle Personen im Konjugationsparadigma von COMPLUERE zulassen sollen.
Eigentlich wollte ich schon längst zu meiner Quintessenz kommen, aber ich will jetzt doch noch einmal ausschweifen, weil es gar so interessant ist.
Aufgrund der Angaben im L&S zu pluo, auf die du lobenswerterweise im Beitrag #3 hingewiesen hattest,
Zitat von L&Splŭo, plui (or plūvi in Plaut. and Liv.; cf. Prisc. p. 881 P.; Varr. L. L. 9, § 104 Müll.), 3, v. n., usu. impers. (ante-class. and late Lat. also pers.; ) [root plu-, to swim; Gr. πλυνω, to wash; cf.: πλεω, πλευσω, to sail; cf. ploro], to rain; constr. absol., or with abl. or acc.
Zitat von Priscian auf http://htl2.linguist.jussieu.fr:8080/CGL...=2,369,1-547,14 |0450| infinita quoque et impersonalia et gerundia uel supina carent personis |naturaliter. praeterea in nominationibus, id est ὀνοματοποιΐαις, siue |nominum seu uerborum nouis conformationibus, non omnes declinationis |motus sunt quaerendi, ut tinniat (Persius: |«ne qua subaerato mendosum tinniat auro»), |taratantara (Ennius: |«at tuba terribili sonitu taratantara dixit»), |ut etiam apud Graecos «σίζε ὀφθαλμός, ἔκλαγξαν δ᾽ ἄρ᾽ ὀϊστοί, φλοῖσβος». |pluit et tonat et fulminat et multa similia, quae ad homines |non pertinent, proprie quidem ad tertiam dicuntur personam, possunt |tamen etiam in prima inueniri persona et secunda per poetarum | προσωποποιΐας, id est conformationes, uel per responsa dei et per apostrophas, |quasi ad ipsum Iouem praesentem, et sunt quasi propria uerborum, quae |ad solum Iouem pertinent. |reperiuntur tamen et alia uerba, quae in usu deficiunt personis, ut |cedo, sodes, salue, furis, aue, infit, foret. quamuis et |infio et furo apud Varronem inueniuntur et forem apud |Terentium in hecyra: |«nam si utrumuis horum, mulier, umquam tibi uisus |forem». |fore quoque dicitur, ex quo confore Terentius in Andria |compositum protulit: |«et id spero confore».
Ich übersetze den von mir mit Fettdruck hervorgehobenen Satz zuerst wörtlich und grob, danach freier und schöner.
|pluit et tonat et fulminat et multa similia, quae ad homines |non pertinent, proprie quidem ad tertiam dicuntur personam, possunt |tamen etiam in prima inueniri persona et secunda per poetarum | προσωποποιΐας, id est conformationes, uel per responsa dei et per apostrophas, |quasi ad ipsum Iouem praesentem, et sunt quasi propria uerborum, quae |ad solum Iouem pertinent.
pluit, tonat, fulminat und viele ähnliche [Verben], die zu den Menschen nicht gehören, werden jedenfalls vorzugsweise in der 3. Person gesagt, können jedoch auch in der 1. Person gefunden werden und in der zweiten durch die προσωποποιΐα der Dichter, d.h. Redefiguren, besonders durch Antworten des Gottes oder durch Apostrophen, als ob Juppiter selbst anwesend wäre, und es sind sozusagen spezielle Wörter, die nur zu Juppiter gehören.
-->
pluit, tonat, fulminat und viele ähnliche [Verben], die [Handlungen ausdrücken, die] Menschen nicht ausführen können, werden jedenfalls vorzugsweise in der 3. Person gebraucht, sie können jedoch auch in der ersten und in der zweiten Person vorkommen aufgrund von dichterischer Prosopopöie (Personifikation), d.h. es handelt sich hierbei um stilistische Figuren, insbesondere um Antworten eines Gottes oder um Apostrophen, [die so verwendet werden,] als ob sie sich auf Juppiter selbst beziehen würden, und es sind sozusagen spezielle Wörter, die nur im Zusammenhang mit Juppiter gebraucht werden.
Linhart, du schriebst in deinem vorigen Beitrag:
Zitat von linhart im Beitrag #8Meiner Meinung nach spricht nach wie vor einiges dafür, alle Formen von compluo zuzulassen. Die Unterscheidung zwischen Animata und Inanimata als Subjekt halte ich für sehr problematisch, da vor allem in poetischen und religiösen Texten bei fast allen Verben auch Animata als Subjekt vorkommen können.
Wenn es z.B. heißt "verbum dei omnes compluit", kann man sich fragen, ob "verbum dei" nicht fast dasselbe wie "deus" bedeutet. Ein Gott kann doch wohl alles beregnen, oder? Und wenn der Gott zu sprechen beginnt, kann er sagen, "Ich beregne die ganze Welt.".
Im Grunde genommen sagst du genau dasselbe, was der Grammatiker Priscian auch sagt. Das ist bemerkenswert und zeigt wieder einmal ganz deutlich, wie kompetent du bist!
Ich habe jetzt endlich die Textstelle Aug. Gen. 1, 23 gefunden. Das war deshalb so schwierig, weil ich zuerst glaubte, es handele sich um De Genesi Ad Litteram Libri Duodecim. Doch dem ist nicht so. Es handelt sich vielmehr um De Genesi Contra Manichaeos Libri Duo, eine Abhandlung, die auf http://www.documentacatholicaomnia.eu/20...s,_Sanctus.html nicht verfügbar ist, obwohl es auf den ersten Blick den Anschein hat, dass die Datei De Genesi Contra Manichaeos Libri Duo. Admonitio dieser Text im pdf-Format sei. Doch wenn man diese Datei herunterlädt, dann zeigt sich, dass sie wertlos ist, weil der eigentliche Text, den man erwartet, gar nicht eingescannt ist.
Im Viewer weiter unten muss man zur Seite 10 blättern und nach unten scrollen, bis man zum Abschnitt 23. 36., Secunda aetas, similis pueritiae: a Noe ad Abraham, gelangt. Das Wort compluebatur steht dann am Ende der ersten Zeile auf Seite 11.
Zitat von Augustin, De Genesi Contra Manichaeos, 1, 23Secunda aetas, similis pueritiae: a Noe ad Abraham.
23. 36. 2.a AETAS. Et incipit mane a temporibus Noe secunda aetas tamquam pueritia, et tenditur haec aetas usque ad Abraham aliis generationibus decem. Et bene comparatur secundo diei quo factum est firmamentum inter aquam et aquam; quia et arca in qua erat Noe cum suis, firmamentum erat inter aquas inferiores in quibus natabat, et superiores quibus compluebatur. Haec aetas non diluvio deletur, quia et pueritia nostra non oblivione tergitur de memoria. Meminimus enim nos fuisse pueros, infantes autem non meminimus. Huius vespera est confusio linguarum in eis qui turrem faciebant, et fit mane ab Abraham. Sed nec ista aetas secunda generavit populum Dei, quia nec pueritia apta est ad generandum.
Bitte Geduld haben, das Laden der Seiten kann einen Moment dauern!
Zitat von Augustin, De Genesi Contra Manichaeos, 1, 23Secunda aetas, similis pueritiae: a Noe ad Abraham.
23. 36. 2.a AETAS. Et incipit mane a temporibus Noe secunda aetas tamquam pueritia, et tenditur haec aetas usque ad Abraham aliis generationibus decem. Et bene comparatur secundo diei quo factum est firmamentum inter aquam et aquam; quia et arca in qua erat Noe cum suis, firmamentum erat inter aquas inferiores in quibus natabat, et superiores quibus compluebatur. Haec aetas non diluvio deletur, quia et pueritia nostra non oblivione tergitur de memoria. Meminimus enim nos fuisse pueros, infantes autem non meminimus. Huius vespera est confusio linguarum in eis qui turrem faciebant, et fit mane ab Abraham. Sed nec ista aetas secunda generavit populum Dei, quia nec pueritia apta est ad generandum.
Meine eigene Übersetzung des blauen Satzes:
[...] weil auch die Arche, in der sich Noah mit den Seinen befand, festen Untergrund bot zwischen den Fluten darunter, auf denen die Arche trieb, und den Wassermengen darüber, von denen sie vollgeregnet wurde.
Die Zählung der Kapitel scheint auch nicht mit der Quellenangabe übereinzustimmen.
------------------------
Sol. 10, § 15
...bis ich darauf kam, dass es sich nicht um Augustin, sondern um einen ganz anderen Verfasser handeln muss, nämlich um Gaius Julius Solinus, der ein lateinischer Grammatiker und Kompilator war und vermutlich in der Mitte des 4. Jahrhunderts lebte. Ich hätte schon vorher mal in den Georges schauen sollen: http://www.zeno.org/Georges-1913/A/compluo, wo die Quellenangabe Solin. 10, 15 lautet, oder den Beitrag #1 noch einmal genau lesen sollen.
Quum contra medium alveum adventasse se sciunt, scrupulorum sarcina pedes liberant: ita nautæ prodiderunt, compluti sæpe ex illo casu imbre saxatili.
Meine eigene Übersetzung:
Wenn sie wissen, dass sie in der Mitte der Höhle (?) angekommen sind, befreien sie die Füße von der Last der kleinen Steinchen: So haben die Seefaher berichtet (?), die in diesem Fall (?) oft vollgeregnet waren von einem steinernen Regenguss (?).
Da ich jetzt keinen Kontext habe, besteht die Gefahr, dass ich falsch übersetzt habe. Aber es könnte ja sein, dass es sich um eine Art Steinschlag handelt, der auf die Seefahrer niederprasselt...
Jedenfalls können wir festhalten: Die Passivformen von COMPLUIT sind tatsächlich belegt; persönlich konstruierte Aktivformen in anderen Personen als der dritten im Singular und Plural habe ich bei diesen Recherchen JEDOCH nicht gefunden.
Jedenfalls möchte ich diese Diskussion jetzt zum Abschluss bringen und mein Fazit posten:
Das Verb com-pluo, uī, ūtum, ere, für das der Lemmaeintrag im L&S complŭit, ĕre lautet, ist - wie es auch im L&S angegeben ist - nicht nur in der dritten Person Singular (als unpersönliches Verb) belegt, sondern auch persönlich konstruiert in der 3. Person Plural (--> compluunt), und im Passiv. Die Passivfähigkeit setzt prinzipiell jedoch transitiven Gebrauch im Aktiv voraus, weshalb mir die Art, wie Georges seinen Stichworteintrag zu compluo gestaltet hat, wesentlich besser gefällt als der Stichworteintrag im L&S, der den falschen Eindruck vermittelt, dass dieses Verb nur unpersönlich gebraucht in der 3. Person Singular Aktiv vorkommen kann.
Ich habe zwar keine konkreten Belege für die erste oder zweite Person gefunden, doch die Aussage von Priscian - die Textstelle ist abrufbar auf http://htl2.linguist.jussieu.fr:8080/CGL/text.jsp?id=T43 --> de uerbo : 2,369,1-547,14 (siehe hierzu auch Beitrag #9) - ist ein weiteres ganz starkes Argument für die Zulässigkeit nicht nur der 3., sondern auch der 1. und 2. Person Singular und Plural.
Ich plädiere daher wie du, lieber Linhart, dafür, dass wir uns im Fall des Verbs compluo, uī, ūtum, ere der Sichtweise des Georges anschließen und die Formen sämtlicher Personen für zulässig erklären. In diesem Fall greift unsere Grundsatzentscheidung Unklare Angaben im L&S <--> klare Angaben in anderen Wörterbüchern. Außerdem spricht der Lemmaeintrag des Verbums simplex plŭo, plui im L&S dafür, dass auch das Verbum compositum compluere auf die gleiche Weise wie das Verbum simplex gehandhabt werden sollte (vgl. hierzu http://www.zeno.org/Georges-1913/A/pluo).
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/pluo Im Georges steht unter pluo, pluī u. (archaist.) plūvī, pluitūrus, ere (für plovo = griech. πλε(ϝ)ω), regnen eben auch die Form des Partizips Futur pluitūrus, und im Artikel findet sich auch ein Beleg bei Augustin: mannā pluiturus, Augustin. locut. 2. exod. 16.
Seltsam ist auch, dass manna von Augustin offenbar als maskulines Substantiv gebraucht wird, obwohl es laut L&S eigentlich feminin sein müsste (manna, ae, f., = μαννα).
Jedenfalls scheint die Partizip-Futur-Form pluitūrus nicht in der Arbeitsfassung des latin.dic auf, und natürlich auch nicht compluitūrus. Was machen wir, Linhart?
Es steht ja nichts von einem Partizip Futur im L&S, weder bei pluo noch bei compluit...
Zitat von Augustin, Locutionum in Heptateuchum, Liber Secundus, LOCUTIONES DE EXODO81. (16, 4) Dixit autem Dominus ad Moysen: Ecce ego pluam vobis panes de caelo; manna pluiturus panes promisit. Locutio est, qua panis pro alimento ponitur; amat autem Scriptura pluraliter magis panes quam singulariter dicere.
Interessant ist auch die Form pluam in der ersten Person (= Gott spricht zu Moses)!!!
Was machen wir nun, Linhart? Warum haben L&S diese Belegstelle ignoriert, während Georges sie angibt? Ist diese Belegstelle vielleicht nicht seriös genug?