In einem Testspiel kam das Wort LACT vor. Es erscheint mir jedoch unwahrscheinlich, dass es tatsächlich ein lateinisches Wort geben soll, das völlig unlateinisch ausgerechnet auf -CT endet. LACT soll sich angeblich von LAC, LACTIS neutrum = Milch ableiten.
Nun habe ich im L&S Folgendes dazu gefunden:
Zitat von L&S, Glossa.exelac, lactis (nom. lacte, Enn. ap. Non. 483, 2; Plaut. Mil. 2, 2, 85; id. Bacch. 5, 2, 16 Ritschl N. cr. al.; and lact, Aus. Idyll. 12; Mart. Cap. 3, § 307; masc. acc. lactem, App. M. 8, p. 214 fin. ; 215 init. ; but dub. in Gell. 12, 1, 17, where Hertz reads lacte), n. Gr. γαλα, gen. γαλακτος, milk . ...
Die Form LACT steht in der derzeitigen Liste der Vierbuchstäbler. Ich müsste mal überprüfen, was es mit den angegebenen Belegstellen auf sich hat. Ich vermute stark, dass es sich bei beiden Belegstellen um eine falsche Lesart handelt könnte. Im Georges steht dazu Folgendes:
Zitat von http://www.zeno.org/Georges-1913/A/lac[525] lāc, lactis, n. (aus *glact, griech. γάλα od. γλάγος), Milch, I) eig.: ovium lac, Gell.: lac asininum, Cels.: bubulum, vaccinum, Plin.: lac equinum, Varro: lac alienum (von einer anderen Frau), Gell.: lac gallinaceum, sprichw. v. einer seltenen Sache, Petron. 38, 1 (u. so ut vel lactis gallinacei sperare possis haustum, Menge seltener Dinge, Plin. nat. hist. praef. § 23): lac concretum (geronnene), Tac.: lacte atque pecore vivere, Caes.: lacte, caseo, carne vesci, Cic.: infantium fletum infuso lacte compescere, Sen.: filium lacte suo nutrire od. alere, Gell.: lac dare, säugen, Ov.: cum lacte nutricis errorem suxisse, Cic.: satiari velut disciplinae lacte, Quint. – meton., Milchfarbe, Ov. art. am. 1, 292. – II) übtr., Milch, milchiger-, weißer Saft in Gewächsen, Ov. u. Cels.: v. Birnensaft, Plin. – lac veneni, giftiger Saft, Verg. – / Archaist. Nomin. lacte, Enn. ann. 352. Cato u.a. bei Charis. 102. Cato r. r. 86. Plaut. Bacch. 1134 G. Plin. 15, 53 u. 24, 100. Petron. 38, 1. Apul. met. 8, 19 (Variante lactem): Acc. masc. lactem, Petron. 71, 1. Apul. met. 8, 28. Gell. 12, 1, 17 (lactem oder lacte). Cael. Aur. de morb. chron. 4, 3, 56. Itala Isai. 1, 16 (bei Ps. Cypr. adv. Iud. 8 extr.). Schol. in Caes. German. Arat. p. 422, 19 E. – Nom. lact, Varro sat. Men. 26 B. Auson. Technop. (XXVII) 13, 12. p. 139, 12 Schenkl. Mart. Cap. 3. § 307. Caper 95, 13 K. Vgl. übh. Ritschl opusc. 2, 574 ff. (der den Akk. lactem mit Unrecht verwirft) .
LACTEM
Nach allen Regeln der lateinischen Grammatik sind die Akkusativformen der Neutra grundsätzlich identisch mit der Nominativform. Wieso LACTEM dann plötzlich gültig sein soll, ist mir schleierhaft.
Oje! Dieser Sache muss ich wohl mal nachgehen... Das wird was... *seufz*
Zitat von Trimalchio in der Cena Trimalchionis von Petron auf http://www.gottwein.de/Lat/petron/cena65.php (71,1) diffusus hac contentione Trimalchio ‘amici,’ inquit ‘et servi homines sunt et aeque unum lactem biberunt, etiam si illos malus fatus oppresserit. tamen me salvo cito aquam liberam gustabunt. ad summam, omnes illos in testamento meo manu mitto.
Trimalchio zerfloss in Vergnügen bei dieser Aufforderung und sagte: „Meine Freunde! Die Sklaven sind doch auch Menschen und haben ebenso wie wir Weibermilch getrunken! Und wenn sie gleich ihr böses Schicksal verfolgt, so sollen sie doch, so wahr ich lebe noch freie Luft genießen!
Trotz allem erlaube ich mir hierzu einen kleinen Kommentar:
Dass ausgerechnet der sich lächerlich machende, dumme und neureiche Trimalchio diese Akkusativform verwendet, könnte von Petron bewusst so gewählt worden sein, um zu verdeutlichen, dass Trimalchio zwar so tut, als ob er zu den feinen Leuten gehört, dass er aber, sobald er seinen Mund aufmacht, verrät, wie wenig Bildung er besitzt. Bei der von Petron bewusst gewählten Form LACTEM im Munde des Trimalchio könnte es sich also um Element der Satire handeln. Ich gehe davon aus, dass Petron selbst niemals so gesprochen hätte... Um diese Form LACTEM im Munde des Trimalchio beurteilen zu können, muss man natürlich das gesamte Werk von Petron kennen. Und das tue ich. Ich hatte mich früher im Studium einmal eingehender mit Petron und dem Satyricon beschäftigt, was mir damals schon viel Spaß gemacht hat. Daher weiß ich auch, wovon ich rede. Zur Untermauerung meiner These verweise ich aber auch auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Gastmah...imalchio#Inhalt.
Die Form LACTEM ausgerechnet im Munde von Trimalchio ist für mich also noch lange kein Beweis für die Korrektheit dieser Form.
Ich muss mir daher auch mal die anderen Belege anschauen. Z.B. den Apuleius.
Zitat von Apuleius, Metamorphosen auf http://www.thelatinlibrary.com/apuleius/apuleius8.shtml[19] Interea quidam senex de summo colle prospectat, quem circum capellae pascentes opilionem esse profecto clamabant. Eum rogavit unus e nostris, haberetne venui lactem vel adhuc liquidum vel in caseum recentem inchoatum. At ille diu capite quassanti: "Vos autem" inquit "de cibo vel poculo vel omnino ulla refectione nunc cogitatis? an nulli scitis quo loco consederitis?", et cum dicto conductis oviculis conversus longe recessit.
Mittlerweile sah ihnen ein alter Kerl oben von einem Hügel herunter zu. Ziegen, die um ihn her weideten, kündigten ihn für einen Hirten an. Einer von den unsern fragte denselben, ob er keine Milch oder frischen Käse zu verkaufen hätte. Er schüttelte etliche Male mit dem Kopfe und rief darauf: ªWie? Hier denkt ihr an Essen und Trinken oder an anderlei Erquicken? Ihr müßt nicht wissen, wo Ihr seid!´ Mit den Worten trieb er seine Herde zusammen, schwenkte sich und zog hinweg.
Auch hier handelt es sich um einfache und eher ungebildete Leute, die in dieser Szene sprechen. Daher könnte es sich bei der Form LACTEM um eine eher vulgärlateinische Variante handeln, die wahrscheinlich wirklich so vom gemeinen Volk gebraucht wurde. Klassisch ist sie nicht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass das, was wir als klassisches Latein betrachten, die geschliffene Hoch- und Schriftsprache ist. Gesprochenes Umgangslatein konnte da schon anders aussehen...
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Aber mir fällt ein, LACTEM ist als homophone Verbform ja sowieso gültig, wie du schon gesagt hattes, Linhart. Ich müsste daher mal die merkwürdige Form LACT begutachten.
Die Form LACT ist tatsächlich bei unserem seriösen, korrektes Latein schreibenden, gebildeten Varro in De lingua Latina, Buch 5, Abschnitt 104 belegt, was mich doch ziemlich wundert. Und was mich noch mehr wundert, ist, dass für diese Form im textkritischen Apparat keine weiteren Lesarten in irgendwelchen Codices angegeben sind (die Lesart laetus steht hier nicht zur Debatte):
Hier ist die im OLD angegebene Plinius-Stelle. Da kommt lact gleich viermal vor:
Zitat 96. [236] Mulieri ante septimum mensem profusum lact inutile, ab eo mense, quo vitales partus, salubre. plerisque autem totis mammis atque etiam alarum sinu fluit. cameli lact habent, donec iterum gravescant. suavissimum id existimatur ad unam mensuram tribus aquae additis. bos ante partum non habet, et primo semper a partu colostrae fiunt, ni admisceatur aqua, in pumicis modum coeunte duritia. [237] asinae praegnates continuo lactescunt. pullos earum, ubi pingue pabulum, biduo a partu maternum lact gustasse letale est. genus mali vocatur colostratio. caseus non fit ex utrimque dentatis, quoniam eorum lact non coit.
Ich habe auf http://books.google.com.au/books?id=RZA9...ER%20XI&f=false eine Ausgabe des 11. Buchs der Historia Naturalis von Plinius gefunden, doch das, was ich zunächst für einen textkritischen Apparat hielt, entpuppte sich leider nur als Kommentar mit Querverweisen zu analogen Stellen in der Literatur, wo ebenfalls diese Milchthematik vorkommt.
Interessant ist auf alle Fälle die Tatsache, dass der Herausgeber dieser Ausgabe statt lact die Form lac ohne t gewählt hat. Ob es sich um eine in einem Codex überlieferte Form oder um die Emendation eines klugen Altphilologen handelt, ist nicht klar.
Die Screenshots sind wie immer verlinkt mit dem e-Buch.
Ich stehe mit der Form LACT nach wie vor auf Kriegsfuß, weil mir diese Form mit der Konsonantenverbindung -ct am Wortende höchst "unlateinisch" vorkommt. Es gibt sicher triftige Gründe, warum der Herausgeber G. Cuvier (http://books.google.com.au/books?id=RZA9...ER%20XI&f=false) (siehe Beitrag #11) die Lesart oder Emendation lac gewählt hat.
Interessanterweise schreibt Langenscheidt hierzu:
Zitat von Langenscheidtlac, lactis, n. [...] wohl = lacc, aber nicht sicher belegt; nach Varro < *lact, altlat. lacte = γαλα; [...]
- wobei: < entstanden aus * nicht belegte, sprachwissenschaftlich erschlossene Form.
Ich würde so gern die von Langenscheidt zitierte Varro-Stelle einsehen. Warum hat Langenscheidt nur keine Quellenangabe dabei?! Wo soll ich anfangen zu suchen...
Ich habe mal auf http://www.thelatinlibrary.com/varro.html sämtliche Texte, die von Varro stammen (RERVM RVSTICARVM DE AGRI CVLTURA Liber I Liber II Liber III und DE LINGVA LATINA), auf das Vorkommen von lact hin untersucht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass auf http://www.thelatinlibrary.com/varro.html nirgends die Lesart lact vorkommt.
Zitat von Bussinchen im Beitrag #12Ich würde so gern die von Langenscheidt zitierte Varro-Stelle einsehen. Warum hat Langenscheidt nur keine Quellenangabe dabei?! Wo soll ich anfangen zu suchen...
Oder ist damit etwa die Stelle De lingua Latina, Buch 5, Abschnitt 104 gemeint? (siehe Screenshot im Beitrag #8)