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Dieses Thema hat 15 Antworten
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 Farsinchens Café
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linhart Offline




Beiträge: 2.493

15.05.2012 18:54
#1 Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Aus aktuellem Anlass zum Thema "Was ist der Himmel?" der Anfang eines Gedichts von Hafez, das mich seit Jahren immer wieder tief beeindruckt:

سال‌ها دل طلب جام جم از ما می‌کرد
ان چه خود داشت ز بیگانه تمنا می‌کرد
گوهری کز صدف کون و مکان بیرون است
طلب از گمشدگان ره دریا می‌کرد


Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd,
ān ce khod dāsht ze bigāneh tamannā mikárd.
Gouhári kaz sadáfe koun o makān birún ast,
taláb az gomshodegāne rahe daryā mikárd.


Jahrelang verlangte mein Herz nach dem Becher Dschamschids;
was es bereits besaß, erbat es von Fremdlingen.
Die Perle, die sich jenseits der Muschel des Universums befindet,
verlangte es von denen, die sich auf dem Weg zum Meer verirrt hatten.


Ein Hinweis dazu:

Der Becher Dschamschids (jāme Jam) ist ein unendlich wertvoller Becher des sagenhaften Königs Dschamschid und steht hier quasi für "Himmel".
Die Perle ist ein anderes Bild für dasselbe.

Für den Mystiker geht es hier um die Vereinigung mit Gott, die sich eben in der eigenen Seele abspielt.

Bussinchen Offline




Beiträge: 90

16.05.2012 02:16
#2 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Zitat von linhart
Aus aktuellem Anlass zum Thema "Was ist der Himmel?" der Anfang eines Gedichts von Hafez, das mich seit Jahren immer wieder tief beeindruckt:

سال‌ها دل طلب جام جم از ما می‌کرد
ان چه خود داشت ز بیگانه تمنا می‌کرد
گوهری کز صدف کون و مکان بیرون است
طلب از گمشدگان ره دریا می‌کرد



Vielen Dank, lieber Linhart, für dieses wunderschöne Posting, das an unseren tiefgründigen Mailwechsel philosophischer Art anknüpft...


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Bussinchen Offline




Beiträge: 90

16.05.2012 09:40
#3 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten





حافظ - با صدای شاملو

سال‌ها دل طلب جام جم از ما می‌کرد
وآن چه خود داشت ز بیگانه تمنا می‌کرد

گوهری کز صدف کُوْن و مکان بیرون است
طلب از گمشدگانِ لبِ دریا می‌کرد

بی‌دلی، در همه احوال، خدا با او بود
او نمی‌دیدش و از دور "خدایا" می‌کرد

مشکل خویش برِ پیرِ مُغان بردم دوش
کو به تایید نظر حل معما می‌کرد

دیدمش خرم و خندان، قدحِ باده به دست
و اندر آن آینه صد گونه تماشا می‌کرد

این همه شعبده خویش که می‌کرد اینجا
سامری پیش عصا و ید بیضا می‌کرد

گفت: «آن یار، کز او گشت سر دار بلند،
جرمش این بود که اسرار هویدا می‌کرد»

فیض روح القدس ار باز مدد فرماید
دیگران هم بکنند آن چه مسیحا می‌کرد

گفتم: «این جام جهان بین به تو کِی داد حکیم؟»
گفت: «آن روز که این گنبد مینا می‌کرد»

گفتمش «سلسله زلف بتان از پی چیست؟»
گفت: «حافظ گله‌ای از دل شیدا می‌کرد!»






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linhart Offline




Beiträge: 2.493

16.05.2012 10:54
#4 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Toll! Unglaublich, dass du das gefunden hast!

Ich wundere mich natürlich immer wieder ein wenig, wenn ich so ein Gedicht von einem echten Perser vorgelesen bekomme. Das hört sich dann doch ziemlich anders an, als wenn ich es aufsage. Aber ich habe das Gefühl, dass der Sprecher hier sehr gut die mystische Grundstimmung wiedergibt.

Interessant finde ich erstens, dass es sich um eine etwas andere Version handelt als die in meinem Hafez-Divan, und zweitens, dass der Sprecher eine Strophe rezitiert, die gar nicht im Text steht (zwischen der dritt- und viertletzten Strophe).

Da könnte man wohl auch textkritisches Quellenstudium betreiben ...

Ich habe den Link jedenfalls gleich unter meinen Favoriten eingetragen.

Vielen Dank!

Bussinchen Offline




Beiträge: 90

16.05.2012 11:24
#5 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten



So genaue Analysen konnte ich natürlich nicht machen. Aber poste doch mal das ganze Gedicht mitsamt der Transkription in lateinischen Buchstaben, und am besten auch noch d/eine Übersetzung.

Ich würde das tatsächlich gern mal komplett lesen, nachdem wir schon per E-Mail und Skype philosophiert hatten, wie man - ausgehend von der Diskussion über die ethisch-moralische Bedeutung von OpenSource - zu innerer Harmonie gelangen (= "in den Himmel kommen") kann. Die innere Harmonie liegt in einem selbst begründet, wenn man die richtige Einstellung hat.

Wahrer Altruismus (Dabei stellt sich die Frage: Was ist wahrer Altruismus? Gibt es das überhaupt?), und eben auch der t1697f222-Licence.html, erfüllt denjenigen, der sich großherzig und ohne Wenn und Aber für freie Software engagiert und dadurch innere Größe beweist, mit innerer Harmonie, mit Freude, mit Glücksgefühlen: Solch eine wunderschöne innere Freude erlebe auch ich jedes Mal, wenn "meine" lang-Dateien zu Scrabble3D bzw. deren Updates online gehen... Das kann man nicht mit Geld messen oder aufwiegen. Die "Belohnung", die man erfährt, liegt auf einem völlig anderen Niveau...

Das ist genau das, was Hafez sagt:

Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd,
ān ce khod dāsht ze bigāneh tamannā mikárd.


Jahrelang verlangte mein Herz nach dem Becher Dschamschids;
was es bereits besaß, erbat es von Fremdlingen.


Das wahre Glück liegt in einem selbst. Man muss nur zu ihm finden. Und das kann nur über die eigene innere Einstellung, die eigene Lebensphilosophie geschehen...






--------------------------

Zitat von linhart
Aber ich habe das Gefühl, dass der Sprecher hier sehr gut die mystische Grundstimmung wiedergibt.


Das finde ich auch. Der Sprecher rezitiert sehr gut. Auch wenn ich die Sprache nicht verstehe, kann ich, wenn ich weiß, worum es in dem Gedicht geht, die Stimmung sehr gut nachempfinden...


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linhart Offline




Beiträge: 2.493

18.05.2012 15:10
#6 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Es handelt sich hier um die Ghasele Nr. 136 nach der Ausgabe von Parviz Nātal Khānlari (1996), die meiner Meinung nach die modernste und beste ist.

Die im Beitrag Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... verwendete Version unterscheidet sich ab der 3. Strophe deutlich von dieser hier.

Ich möchte die ganze Ghasele nach meinem Verständnis übersetzen.

سال‌ها دل طلب جام جم از ما می‌کرد
ان چه خود داشت ز بیگانه تمنا می‌کرد

Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikard,
ān če khod dāsht ze bigāneh tamannā mikard.


Jahrelang verlangte mein Herz nach dem Becher Dschamschids;
was es bereits besaß, erbat es von Fremdlingen.


گوهری کز صدف کون و مکان بیرون است
طلب از گمشدگان ره دریا می‌کرد

Gouhári kaz sadáfe koun o makān birún ast,
taláb az gomshodegāne rahe daryā mikard.


Die Perle, die sich jenseits der Muschel des Universums befindet,
verlangte es von denen, die sich auf dem Weg zum Meer verirrt hatten.


مشکل خویش بر پیر مغان بردم دوش
کاو به تایید نظر حل معما می‌کرد

Moshkele khish bar pire moqān bordam dush
ke u be tāyide nazar halle mo'ammā mikard.


Gestern trug ich mein Problem zum alten Magier,
der kraft seiner Einsicht Rätsel lösen konnte.


دیدمش خرم و خرم و خوش دل قدح باده به دست
و ندران آینه صد گونه تماشا می‌کرد

Didam-ash khorrám o khosh-del qadáhe bādeh be dast,
wandar-ān āyineh sad guneh tamāshā mikard.


Ich traf ihn froh und heiter, einen Pokal mit Wein in der Hand,
und an dem, was er in diesem Spiegel sah, ergötzte er sich hundertfach.


گفتم این جام جهان بین به تو کی داد حکیم
گفت آن روز که این گنبد مینا می‌کرد

Góftam, in jāme jahān-bin be to key dād hakím?
Goft, ān ruz ke in gombáde minā mikard.


Ich fragte: Wann gab dir der Allwissende diesen weltenzeigenden Becher?
Er antwortete: An jenem Tag, als er das Himmelsgewölbe schuf.


گفت آن یار کزو گشت سر دار بلند
جرمش این بود که اسرار هویدا می‌کرد

Goft, ān yār kaz-u gasht sare dār boland
jorm-ash in bud ke asrār hoveydā mikard.


Er sprach: Jener Freund, durch den der Galgen zu hohen Ehren kam -
sein Verbrechen war, dass er Geheimnisse verriet.


"Jener Freund" ist Mansur al Hallaj, der wegen seines mystisch geprägten
Glaubens hingerichtet wurde. http://de.wikipedia.org/wiki/Mansur_al-Halladsch


فیض روح القدس ار باز مدد فرماید
دیگران هم بکنند آن چه مسیحا می‌کرد

Feyze ruh al-qods ar bāz madad farmāyad,
digarān ham bókonand ān če masihā mikard.


Wenn sich die Gnade des Heiligen Geistes wieder zur Hilfe herablässt,
können andere auch das tun, was der Messias getan hat.


گفتمش زلف چو زنجیر بتان از پی چیست
گفت حافظ گله‌ای از دل شیدا می‌کرد

Goftam-ash, zolfe čo zanjire botān az peye čist?
Goft, Hāfez geleh-i az dele sheydā mikard.


Ich fragte: Die kettenartigen Locken der Angebeteten, wozo sind sie da?
Er antwortete: Hafez' Klage kommt aus einem verwirrten Herzen.


Für die Übersetzung waren mir folgende Bücher eine große Hilfe:
http://www.amazon.com/The-Divan-H%25e2fe...37402865&sr=8-3
http://www.amazon.de/Die-Ghaselen-Hafiz-...37402915&sr=1-1


-------------------------------------------

[EDIT Bussinchen] http://www.neyestan.com/soundsample/AllSound/143.wav

Bussinchen Offline




Beiträge: 90

19.05.2012 04:55
#7 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Vielen Dank lieber Linhart, für das Gedicht und deine Übersetzung!

Es ist nicht leicht, das alles auf Anhieb richtig zu verstehen, weil die Sprache sehr verdichtet ist und sich die Metaphern nicht so ohne Weiteres erschließen lassen, wenn man in dieser Art von Literatur nicht bewandert ist. Es wird Hintergrundwissen vorausgesetzt. Auch der Gedankensprung zu "jenem Freund" (Mansur al-Halladsch) erfolgt sehr abrupt, sodass ich mir als Rezipient die Kohärenz des Textes erst selbst durch die Auslegung dieser Textstelle herstellen muss.

Ich denke, eine zentrale Stelle ist die, wo von dem Pokal mit dem Wein und dem Spiegel die Rede ist. Auf http://de.wikipedia.org/wiki/Sufismus#Die_Liebe liest man, dass der Wein die Liebe Gottes symbolisiert. Doch was spiegelt sich in diesem weltenzeigenden Becher? Ist der Wein oder der Pokal der Spiegel? Ist es der Wein, der es erst ermöglicht, die Schönheit der (von Gott erschaffenen) Welt im Spiegelbild des Pokals zu erkennen? Mir scheint, dass dies ein Aufruf zum Genießen ist: Der Becher der Erkenntnis zeigt dem Weisen die Schönheit der Natur, und über die lebensbejahende Einstellung und den Genuss der Natur erlangt der Mensch innere Harmonie, Zufriedenheit und Frieden mit sich selbst und mit Gott...

Sag mir, wie du das interpretierst...

Besonderes Gewicht liegt auf dem Wort می‌کرد (mikard). Was bedeutet dieses Wort genau, Linhart? Bedeutet es vielleicht "verlangen"? Ab dem 4. Doppelvers will "verlangen" aber nicht mehr recht in den Kontext hineinpassen...


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linhart Offline




Beiträge: 2.493

19.05.2012 07:03
#8 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Zu "Spiegel": Ich denke, es ist hier wie so oft bei Hafez, dass er absichtlich mehrdeutig schreibt. Es ist sowohl der Pokal als auch der Wein gemeint, und in weiterer Folge die mystische Einsicht und vielleicht auch die mystische Ekstase.

Zu den Gedankensprüngen: In den Hafez'schen Gedichten kommen sie (wie vermutlich allgemein in der persischen Lyrik) ziemlich häufig vor. Er geht davon aus, dass man die Grundgedanken der Mystik ohnehin ständig im Kopf hat, und spielt einmal auf den einen, dann wieder auf einen anderen und einen dritten an. Dieses Gedicht hier ist eigentlich verhältnismäßig kohärent, da es bis auf den letzten Vers (der oft aus der Reihe tanzt) ganz auf den Gedanken konzentriert ist, dass Gott im Herzen des Menschen ist.

Die Erwähnung des "Freundes Hallaj" passt sehr gut in das Gedicht, denn er war es, der besonders stark darauf hingewiesen hat, dass Gott im Menschen ist. Sein berühmtester Ausspruch ist "Ana-l-haqq" ( http://de.wikipedia.org/wiki/Mansur_al-Halladsch ), was wörtlich "Ich bin die Wahrheit" heißt. Das kann man aber auch als "Ich bin Gott" verstehen, was ihm vermutlich das Leben gekostet hat. Dabei hat er aber ziemlich sicher nur sagen wollen, dass Gott in seinem Herzen ist und nicht irgendwo über den Wolken.

Zu "mikard": Das kommt von "kardan", was eigentlich "machen" heißt. "mikard" ist die 3. Person Singular des Imperfekts, und zwar eine Art Iterativum und bedeutet wörtlich "er machte (immer wieder)".

Zusammen mit einem Substantiv dient "kardan" aber einfach dazu, das zu dem Substantiv gehörige Verb zu beschreiben. "talab" heißt z.B. "Forderung", "talab kardan" daher "fordern".
"hall" heißt "Lösung", "hall kardan" daher "lösen", usw.

"mikard" trägt hier also eigentlich gar keine besondere Bedeutung, sondern dient nur zur Reimbildung.

linhart Offline




Beiträge: 2.493

19.05.2012 07:54
#9 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Noch eine Anmerkung zum "Freund": Dass Hallaj gemeint ist, ist natürlich nur eine Auslegung. Man findet sie z.B. in der klassischen Übersetzung von Rosenzweig-Schwannau ( http://www.deutsche-liebeslyrik.de/hafis_rs/hafis_rs123.htm ), aber auch im Buch von Joachim Wohlleben.

Ich denke, dass es genauso gut (oder vielleicht sogar eher) möglich ist, dass Jesus gemeint ist. Denn auch er hat durch ein neues Gottesbild "Geheimnisse verraten", und auch sein "Galgen", also das Kreuz, ist zu hohen Ehren gelangt. Außerdem kommt im nächsten Vers der Messias explizit vor.

Bei Hafez kommen immer wieder Verse vor, die zeigen, dass für ihn das Christentum genauso wertvoll wie der Islam war. Z.B. heißt es in dem bereits hier besprochenen Gedicht "Bolboli barge goli ...": Der Dichter Hafez: Persische Lyrik, "Bolboli barge goli xosh-rang dar menqār dāsht..."

Waqte ān shirin qalandar xosh ke dar atvāre seyr
zekre tasbihe malak dar halqeye zonnār dāsht!


Gedenke der Zeit, da dieser herrliche Derwisch in den Wechselfällen seines Lebensganges
das (muslimische) Gottesgedenken des engelischen Rosenkranzes anhand des (christlichen) Gürtelringes zelebrierte.


Übersetzung von Joachim Wohlleben

Hier ist von Scheich San'ān die Rede, der sich in eine Christin verliebt hatte.
Vgl z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Feqiy%C3%AA_Teyran

Bussinchen Offline




Beiträge: 90

20.05.2012 03:13
#10 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Das, was du schreibst, lieber Linhart, erscheint mir alles sehr plausibel. Man merkt, dass du dich schon sehr intensiv mit der Materie beschäftigt hast.

Als ich in dem Wikipedia-Artikel über Mansur al-Halladsch von dessen Ausspruch "Ich bin die (absolute) Wahrheit" (Ana l-haqq ‏انا الحقّ‎) las, musste ich auch sofort an Jesus denken. Hier liegt tatsächlich ein Parallelismus vor (ebenso in der grausamen Hinrichtung beider). Bemerkenswert und zu seiner Zeit sicher sehr gewagt finde ich den vorletzten Doppelvers, wo Hafez sagt, dass im Grunde genommen JEDER ein Jesus oder Hallaj sein kann. Interessant ist auch die Aussage, dass es im Grunde genommen keine Rolle spielt, ob man sich nun dem Islam oder dem Christentum zuwende - beide Wege führten zur Erkenntnis, zur Glückseligkeit, "in den Himmel". Von solch einer toleranten Haltung sollten sich so manche militanten Fundamentalisten eine Scheibe abschneiden... Im italienischen Wikipedia-Artikel wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass al-Hallaj "un vero e proprio Cristo dell'Islam" (ein wahrer Christus des Islam) sei.


Übrigens: Das Motiv des Weins hat auch Goethe in seinem "West-östlichen Diwan" aufgegriffen:

Zitat von Goethe, West-östlicher Diwan, auf http://www.gutenberg.org/cache/epub/2319/pg2319.html
Ob der Koran von Ewigkeit sei

Ob der Koran von Ewigkeit sei?
Darnach frag ich nicht!
Ob der Koran geschaffen sei?
Das weiß ich nicht!
Daß er das Buch der Bücher sei,
Glaub ich aus Mosleminen-Pflicht.


Daß aber der Wein von Ewigkeit sei,
Daran zweifl ich nicht;
Oder daß er von den Engeln geschaffen sei,
Ist vielleicht auch kein Gedicht.
Der Trinkende, wie es auch immer sei,
Blickt Gott frischer ins Angesicht.




http://www.textlog.de/17975.html

Offenbar Geheimnis

Sie haben dich, heiliger Hafis,
Die mystische Zunge genannt
Und haben, die Wortgelehrten,
Den Wert des Worts nicht erkannt.

Mystisch heißest du ihnen,
Weil sie Närrisches bei dir denken
Und ihren unlautern Wein
In deinem Namen verschenken.

Du aber bist mystisch rein,
Weil sie dich nicht versteh'n,
Der du, ohne fromm zu sein, selig bist!
Das wollen sie dir nicht zugestehn.


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Bussinchen Offline




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20.05.2012 11:33
#11 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Linhart, wie kommt es eigentlich, dass der Sprecher in dem Youtube-Video eine ganz andere Fassung dieses Gedichts rezitiert als diejenige, die dir in deinen Hafez-Ausgaben vorliegt?

Wie wurde Hafez eigentlich überliefert? Ist das ähnlich wie bei der antiken griechischen und lateinischen Literatur? Nun lebte Hafez ja viel später als die antiken Autoren, weshalb die Überlieferungssituation ganz anders sein könnte als bei der Literatur der klassischen europäischen Antike.

Liegen bei diesem Gedicht vielleicht unterschiedliche "Lesarten" vor? Weißt du da was?

---------------------

[EDIT]

Auf http://de.wikipedia.org/wiki/Hafes#Ghaselen lese ich gerade:

Zitat von http://de.wikipedia.org/wiki/Hafes
Der Diwan in gedruckter Ausgabe enthält 488 oder 489 als Original geltende Ghaselen, daneben auch einige Gedichte in anderen Formen. Hafes Werk wurde erst nach seinem Tod zusammengestellt und verbreitet und ist in zahlreichen voneinander in Verszahl und -anordnung sowie Wortvarianten abweichenden Handschriften überliefert.


Das wundert mich an sich, zumal Hafez schon zu seinen Lebzeiten (ca. 1320 - ca. 1389) ein hoch geachteter Dichter war.


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linhart Offline




Beiträge: 2.493

20.05.2012 14:23
#12 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Zur Quellenlage weiß ich nicht viel mehr, als im Vorwort der Übersetzung von Joachim Wohlleben steht. Er erklärt dort zunächst, dass für ihn Khanlari "die maßgebliche Autorität ist, auch wenn dieser naturgemäß für zahlreiche Ausschließungen keine spezifische Begründung gibt, außer dem Nachweis der jeweiligen Überlieferungslage".

Dann schreibt er: "Welches Abenteuer es wäre, sich außer der Übersetzung auch noch auf Textkritik einzulassen, kann eine Skizze der Problemlage verdeutlichen.". Anschließend erklärt er, dass es sich um vier Entscheidungsebenen handelt. Ich gebe das hier stark gekürzt wieder:

1. Je später eine Divan-Handschrift ist, um so umfänglicher ist sie in der Regel ... (d.h. sie enthält mehr Ghaselen)

2. Die einzelnen Ghaselen sind in verschiedenen Textträgern verschieden lang, sie enthalten mehr oder weniger Verse ...

3. Die Frage der Reihenfolge der Verse (genauer Doppelverse = Beits) ...

4. Textliche Varianten ...

Er schließt mit folgender Bemerkung:

"Einen Hafiz-Text zu 'machen', kann für einen Wissenschaftler zur Lebensaufgabe werden. Ein Übersetzer sollte sich dieser Aufgabe wohlweislich entschlagen."

Deshalb möchte ich mich auch "entschlagen".

Bussinchen Offline




Beiträge: 90

20.05.2012 14:49
#13 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Oje! Natürlich darfst du dich "entschlagen".

Aber vielen Dank für deine Erklärungen zur Überlieferung. Das ist für mich schon interessant zu wissen, insbesondere, weil wir ja auch bei unserer latin.dic-Arbeit im Latein-Forum ständig mit Textkritik und verschiedenen Lesarten zu tun haben.


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Bussinchen Offline




Beiträge: 90

22.07.2012 17:12
#14 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten


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Bussinchen Offline




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22.07.2012 18:55
#15 RE: Hafez: Was ist der Himmel? - Sālhā del talábe jāme Jam az mā mikárd ... Zitat · Antworten

Die Rezitation in dem im Beitrag #3 eingebetteten Youtube-Video gefällt mir besser als die auf http://www.neyestan.com/DivanHafez.asp?pic=1.
Ahmad Shamloo in dem Youtube-Video bringt m.E. wesentlich mehr Gefühl zum Ausdruck...


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