Unter propendo gibt es in L&S einen Verweis auf propendeo:
Zitat prōpendo, ĕre, v. propendeo init.
Da hier "init." dabeisteht, erwartet man sich am Anfang des Artikels von propendeo irgendeine Information zu propendo. Hier ist der Anfang dieses Artikels:
Zitat prō-pendeo, di, sum, 2 (in Plaut. As. 2, 2, 39, the correct reading is propendes), v. n., to hang forth or forward, hang down. I. Lit. (class.): ex ramis propendens, Plin. 26, 7, 20, § 36; Suet. Galb. 21: lanx propendet, Cic. Tusc. 5, 17, 51.—...
Es könnte also sein, dass sich die Anmerkung "in Plaut. As. 2, 2, 39, the correct reading is propendes" auf eine falsche Lesart bezieht, die mit propendo zu tun hat. Wenn das so ist, dann müssten wir propendo als ungültig einstufen.
Ich glaube, das ist wieder ein Fall für unsere Latein-Detektivin Bussinatrix!
Unten in den Fußnoten steht, dass ein gewisser Angelius dependis nec propendis verbessert habe. Leider steht nichts über die Überlieferungssituation dabei, keine Codices, nichts. Solche Fußnoten liebe ich!
Immerhin stimmt diese Aussage mit dem überein, was L&S schreibt: "in Plaut. As. 2, 2, 39, the correct reading is propendes".
Nicht ganz klar ist mir, ob mit dem Stichworteintrag prōpendo, ĕre, v. propendeo init. in Verbindung mit der Aussage "in Plaut. As. 2, 2, 39, the correct reading is propendes" gemeint ist, dass es a) das Verb prōpendo, ĕre schon gibt und dass es eben nur in der besagten Plautus-Stelle die falsche Lesart ist, oder b) ob dieses Verb tatsächlich nur bei Plautus As. 2, 2, 39 vorkommt, wo es die falsche Lesart ist, und sonst nirgends.
Die Tatsache, dass weder Georges noch OLD (und auch nicht Langenscheidt) das Verb prōpendo, ĕre aufführen, deutet auf Variante b) hin.
Ich denke daher auch, dass wir prōpendo, ĕre guten Gewissens als ungültig einstufen und aus dem latin.dic streichen können.
Übelst ist jedoch, dass L&S keinen Vermerk false reading o. dgl. bei dem Stichworteintrag prōpendo, ĕre, v. propendeo init. haben.
Auf der Seite XX ganz vorn im Buch unter SIGLA sind alle Codices aufgeführt, so wie sich das in einer ordentlichen wissenschaftlichen Ausgabe gehört. Wir sehen, dass die Bezeichnung cod. für den Codex P oder A verwendet wird, wobei es sich bei P um den Archetypus handelt, von dem ihrerseits andere Codices abhängen. (Das heißt, die Codices, die vom Archetypus abstammen, sind Abschriften desselben). Sollte es sich um P handeln, dann ist es wahrscheinlich so, dass sich die Lesart propendis von dort in die von P abhängigen Codices BCDEVJO fortgepflanzt hat. Sollte mit der Abkürzung cod. jedoch Codex A gemeint sein, dann handelt es sich um die älteste überlieferte Quelle, die wir für Plautus haben, und zwar einen Palimpsest aus dem 3. bis 4. Jahrhundert n. Chr. Je älter die Handschriften sind, desto weniger Hände haben die Texte abgeschrieben und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Text Fehler aufweist.
Wir sehen also, dass man die Lesart propendis nicht so einfach unterschlagen kann, da diese Lesart in einem so wichtigen Codex überliefert ist (entweder in P oder in A, so wie ich die Sache verstehe, wobei ich nicht verstehe, wieso man "cod." schreibt und nicht gleich P bzw. A direkt nennt, um Klarheit zu verschaffen; doch das steht hier nicht zur Debatte und ist für uns letztlich auch irrelevant). Dies erklärt wohl, warum die falsche Lesart propendis einen eigenen Stichworteintrag im L&S erhalten hat. Die Überlieferungssituation ist einfach zu bedeutsam, als dass L&S das seinen Lesern unterschlagen wollte. Das ist auch sehr nett von den Herren L&S - aber besser wäre es gewesen, sie hätten den Vermerk false reading dazugesetzt.
Zitat von linhart im Beitrag #5Ich komme fast in Versuchung, die Gültigkeit von ÜBELST zu beantragen, so gut gefällt mir deine Verwendung dieses Wortes hier.
Sag bloß, ich selbst rede in unzulässigen grammatischen Formen! Eheu!
Zitat von Plautus, Asinaria 2,2,39 auf http://thelatinlibrary.com/plautus/asinaria.shtmlLIB. Quo argumento istuc? LEON. Ego dicam, quo argumento et quo modo. ad pedes quando adligatumst aequom centumpondium, ubi manus manicae complexae sunt atque adductae ad trabem, nec dependes nec propendes — quin malus nequamque sis. 305
Zitat von Plautus, Asinaria, deutsche Übersetzung auf http://gutenberg.spiegel.de/buch/1786/4Libanus: Warum das? Leonida: Wie und warum, das will ich dir sagen: Hat man ein Gewicht von einem Zentner an deine Füsse gebunden, stecken die Hände in Eisenfesseln und sind am Balken hübsch festgemacht: Exakt gerade hängst du, pendelst weder vorwärts noch zurück und wiegst nicht mehr und nicht weniger, als der Nichtsnutz, der Schuft, der du eben bist.
In meiner Oxford-Ausgabe des Herausgebers Lindsay, die ich noch aus Studienzeiten habe, steht hinten im Anhang, dass es sich hier um das Versmaß des Trochäischen Septenars handelt:
beziehungsweise
Eigentlich dachte ich, wir könnten mithilfe des Versmaßes untermauern, dass propendis mit kurzem i tatsächlich die falsche Lesart ist. Da im trochäischen Septenar aber sehr häufig auch Auflösungen der Längen in zwei oder auch nur eine Kürze vorkommen, scheint mir das Versmaß hier leider kein triftiges Argument zu sein.
Jedenfalls besteht der Vers - statt aus Trochäen mit der Silbenabfolge "lang kurz" - fast ausschließlich aus langen Silben, Spondeen, nur ma- in malus und -que in nequamque ist kurz. Die letzte Silbe in propendes ist naturlang. Aber ich sehe gerade: Auch in der Lesart propendis mit kurzem i wäre die letzte Silbe lang, und zwar würde es sich dann um eine Positionslänge handeln, so dass wir nach wie vor lauter Spondeen hätten.
Ich denke aber, dass wir trotzdem dabei bleiben können und prōpendo, ĕre weiterhin guten Gewissens als ungültig einstufen können. In der derzeitigen Arbeitsfassung des latin.dic steht prōpendo, ĕre auch nicht drin. Ich halte das nach wie vor für die richtige Entscheidung.