VEA ist eine Variante von VIA, die möglicherweise nur einmal belegt ist:
Zitat von L&Svĭa (vĕa, Varr. R. R. 1, 2, 14), ae ( gen. sing. vias, Enn. ap. Prisc. p. 679 P., or Ann. v. 421 Vahl.; viāï, Enn. ap. Cic. Sen. 6, 16, or Ann. v. 209 ib.; Lucr. 1, 406; 1, 659; 2, 249 et saep.; dat. plur. VIEIS, Inscr. Lat. 206, 50), f. Sanscr. vah-āmi, bring, lead; Gr. οχοσ, οχημα, vehicle; Germ. Wagen; Engl. wagon; from this root are also veho, vexo, etc., a way, in the most general sense (for men, beasts, or carriages, within or without a city), a highway, road, path, street.
Bei Georges wird VEA als altlateinisch bezeichnet, und die Variante von Varro lautet dort VEHA:
Zitat via, ae, f. (altlat. vea, verw. mit eo, ire), der Weg, ... ... vulg. Nbf. veha nach Varro r.r. 1, 2, 14.
Im Artikel zum Buchstaben E steht dagegen auch bei Georges VEA für die Variante von Varro
Zitat E, e, der fünfte Buchstabe des latein. Alphabetes, der zweite unter den Vokalen, von den Alten, namentlich in der gemeinen u. Bauernsprache, für i gesetzt, wie Menerva, magester = Minerva, magister, s. Quint. 1, 4, 17: ebenso vea = via, s. Varro r.r. 1, 2, 14.
Ich kann die Stelle bei Varro leider nicht finden und bin ziemlich unsicher, ob wir VEA (und sämtliche Beugungsformen) in die allgemeine Kategorie aufnehmen sollen.
A quo rustici etiam nunc quoque viam veham appellant propter vecturas et vellam, non villam, quo vehunt et unde vehunt.
Ziemlich wörtliche Übersetzung von Bussinatrix: Daher nennen auch die Bauern auch jetzt [noch] den Weg (via/viam) veha (veham) wegen der Transporte (vecturam < von vehere - fahren), wegen des Fahrens) und Vella (vellam), nicht Villa (villam, Landhaus), wo sie hinfahren und von wo sie wegfahren.
Hier auf thelatinlibrary.com wurde also die Form mit h gewählt, die im Georges im Artikel zu VIA angegeben ist.
Ich muss mal schauen, ob ich nicht doch eine online abrufbare Varro-Ausgabe finden kann, wo ein textkritischer Apparat dabei ist, damit ich mir ein besseres Bild von der Varro-Textstelle und von der Diskrepanz zwischen L&S einerseits und Georges andererseits machen kann.
Erst wenn ich Näheres dazu weiß, kann ich eine Aussage treffen, ob VEA als altlateinische Form in die Standardkategorie oder als einzelne Sonderform bei Varro in die Kategorie 4 der Hapax legomena einzupflegen ist.
The Latin text is that of Goetz in the Teubner edition of 1929, with cosmetic changes as printed in the Loeb Classical Library edition, 1934. The English translation is by W. D. Hooper and H. B. Ash, printed in the same edition. Both text and translation are in the public domain.
The vilicus is appointed for p177the purpose of tilling the ground, and the name is derived from villa, the place into which the crops are hauled (vehuntur), and out of which they are hauled by him when they are sold. For this reason the peasants even now call a road veha, because of the hauling; and they call the place to which and from which they haul vella and not villa.
M. Terenti Varronis Rervm rvsticarvm libri tres recognovit Henricvs Keil. Published 1889 by in aedibvs B. G. Tevbneri in Lipsiae
Aus dem textkritischen Apparat geht hervor, dass hier tatsächlich verschiedene Lesarten vorliegen. So steht z.B. im Codex Parisinus viam via veam appellant - eine Variante, die ich auf Anhieb als falsch bezeichnen würde, weil nicht klar ist, was dieses zusätzliche "via" in dem Satz bedeuten soll. Da nur einige (= nonnulla) Handschriften die Lesart "vea" haben, während die meisten (= plurimis) Handschriften, darunter der Codex V, die Lesart "veha" mit h haben, schließe ich mich der Meinung des Herausgebers der vorliegenden Varro-Ausgabe an, der die Lesart "veha" mit h für die richtige hält und diese auch für seine Ausgabe gewählt hat. Im Fall vea vs. veha kann man m.E. keine triftigen Argumente für oder gegen die eine oder andere Lesart anführen, auch das Argument der Lectio difficilior greift hier m.E. nicht so recht. Hier ist lediglich die größere Anzahl der Handschriften, in der die Lesart "veha" steht, ausschlaggebend. Zur Untermauerung könnte man noch anführen, dass Varro "propter vecturas" als Argument für die Form "veha" anführt: beide Wörter hätten somit denselben Stamm, d.h. dasselbe Etymon wie das Verb "vehere, veho, vexi, vectum" (fahren). Die Begründung "propter vecturas" würde wenig (oder zumindest weniger) Sinn machen, wenn "vea" ohne h geschrieben würde.
Ich würde sagen, dass wir uns in einem Zweifelsfall wie diesem an das halten, was in L&S steht, und VEA sowie VELLA als gültig einstufen. Für mich stellt sich nur die Frage, ob diese beiden Wörter in die Kategorie 3 (alte Grammatiker) oder 4 (hapax leg.) fallen. Varro war zwar ein Polyhistor, aber doch zu einem guten Teil Sprachwissenschaftler, und es geht ja eigentlich um sprachwissenschaftliche Überlegungen. Daher tendiere ich jetzt zu Kategorie 3.
Ja, Linhart, an sich finde ich aufgrund dessen, was ich im Beitrag #7 geschrieben habe, die Darstellung im Georges weitaus besser als die im L&S. L&S verweist zwar auch auf den etymologischen Zusammenhang, der zwischen VIA und VEHERE besteht, aber leider ohne auf die Lesart VEHA bei Varro Bezug zu nehmen. L&S schließen sich also der anderen Lesart VEA an, die bei Varro in einigen Handschriften überliefert ist. Diese halte ich auch aufgrund dessen, was wir auf http://books.google.se/books?id=ig4F_lvs...20Varro&f=false zur altlateinischen und vulgärlateinischen Schreibung E statt I lesen, für die weniger richtige Lesart, zumal Varro nicht von den Antiqui, den Alten, sondern den Rustici, den Bauern, spricht. Von der Logik her bestünde für Varro kein Anlass, explizit auf die gemeinsame Etymologie von VIA und dem Verb VEHERE (mit H!) zu verweisen und im gleichen Atemzug die Bauern zu nennen, wenn er nur die alt- bzw. vulgärlateinische Lautung E statt I in der Variante VEA erklären wollte.
Dessen ungeachtet müssen wir aber nun eine Lösung fürs latin.dic finden, auch wenn diese nicht ganz befriedigend erscheinen mag. Ich bin der Meinung, dass die Grundsatzentscheidung Unklare Angaben im L&S <--> klare Angaben in anderen Wörterbüchern im Fall VIA/VEA und VILLA/VELLA nicht recht greift, da es hier nicht um fragliche Beugungsformen geht. Die Aussage von L&S ist an sich klar und eindeutig: Unsere Zweifel kamen erst dadurch auf, dass wir den Georges konsultierten und Diskrepanzen zwischen Georges und L&S feststellten.
Mein Fazit:
Um im latin.dic jedoch eine klare Linie beizubehalten, denke ich auch, Linhart, dass wir genau so verfahren sollten, wie du vorschlägst. Das heißt: VEA und VELLA sind mit allen Beugungsformen zulässig und werden in die Kategorie 3 (antike Lexikographen/Grammatiker) eingepflegt. Die Kategorie 4 der Hapax legomena halte ich in diesem Fall für weniger geeignet.
Zitat von L&S - Glossa.exevĭa (vĕa, Varr. R. R. 1, 2, 14), ae (gen. sing. vias, Enn. ap. Prisc. p. 679 P., or Ann. v. 421 Vahl.; viāï, Enn. ap. Cic. Sen. 6, 16, or Ann. v. 209 ib.; Lucr. 1, 406; 1, 659; 2, 249 et saep.; dat. plur. VIEIS, Inscr. Lat. 206, 50), f. Sanscr. vah-āmi, bring, lead; Gr. οχοσ, οχημα, vehicle; Germ. Wagen; Engl. wagon; from this root are also veho, vexo, etc., a way, in the most general sense (for men, beasts, or carriages, within or without a city), a highway, road, path, street.
Laut L&S sind die einzelnen altertümlichen Beugungsformen VIAI und VIEIS ebenfalls gültig. (Der alte Genitiv Singular VIAS kann hier vernachlässigt werden, weil sich diese Form mit dem Akkusativ Plural VIAS deckt.)
VIAI gehört m. E. in die Standardkategorie und VIEIS in die Kategorie 5 der Inschriften. Hier besteht (fast!) kein Widerspruch zum Georges*):
Zitat von Georges auf http://www.zeno.org/Georges-1913/A/via[3464] via, ae, f. (altlat. vea, verw. mit eo, ire), der Weg, I) eig.: A) der Raum, auf dem man geht, fährt usw., a) der Weg, die Straße, Fahrstraße, militaris, Heerstraße, Hauptstraße, Cic.: via Appia, Flaminia, s. Appius, Flaminius: via Ostiensis, s. Ōstiēnsisunter Ostia. – [...] 2) der Weg, Gang = die Methode, Regel, Verfahrungsweise, die Art und Weise, via curandi, medendi, Cels.: patrum, Ter.: aliā aggrediemur viā, Ter.: per omnes vias leti, Liv.: utraque (lex) suā viā it, geht seinen eigenen Gang, Sen. – dah. viā, methodisch, regelmäßig, in gehöriger Ordnung, dicere, Cic.: progredi, Cic.: verb. ratione et viā, Cic.: viā quādam et ratione, Cic. – / Alte Genetivformen: vias, Enn. ann. 441: viai, Enn. ann. 203*. Lucr. 1, 406 u.a.: Dat. Plur. vieis, Corp. inscr. Lat. 1, 206. lin. 50. 56. 69: Abl. vieis, Corp. inscr. Lat. 1, 200, 26: vies, Corp. inscr. Lat. 4, 1410. – vulg. Nbf. veha nach Varro r.r. 1, 2, 14.
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*) Fußnote: VIES scheint überhaupt nicht im L&S auf und kann daher vernachlässigt werden.
Ich ja an sich auch, ich wollte nur sicherheitshalber noch einmal nachfragen, weil auf meiner Memo-Liste bislang noch kein "erledigt" dabei stand. Wir hatten ja auch noch keine richtige Quintessenz mit deutlichen Grünmarkierungen gepostet...
Jetzt aber!
Unser Fazit:
Laut vorläufigem Fazit im Beitrag #10 und im beiderseitigem Einvernehmen sind VEA und VELLA mit allen Beugungsformen zulässig und werden in die Kategorie 3 (antike Lexikographen/Grammatiker) eingepflegt.
Gemäß unserer im Beitrag #11 gewonnenen Erkenntnis und laut L&S sind auch die einzelnen altertümlichen Beugungsformen VIAI und VIEIS gültig. VIAI kommt in die Standardkategorie, und VIEIS kommt in die Kategorie 5 der Inschriften.
Offen ist meiner Meinung nach noch, was wir nun mit VEHA machen. Zu VEHA steht ja leider nichts im L&S! Wenn man sich strikt an L&S hält, wäre VEHA wohl als ungültig einzustufen, womit ich aufgrund meiner Ausführungen im Beitrag #7 sowie der Bekräftigung in den Ausführungen in dem im Beitrg #8 eingebundenen Buch Probleme hätte. Es spricht schon einiges dafür, bei Varro die Lesart VEHA für die richtige anzusehen, nicht zuletzt die Logik.