LIBEO ist an sich ein unpersönliches Verb, von dem nur die Formen der 3. Pers. Sing. und Partizipien gebräuchlich sind. In L&S steht aber in Klammer etwas von den anderen Formen, das ich nicht ganz verstehe. Handelt es sich da um eine Stelle in der klassischen Literatur oder ist das etwas anderes?
lĭbet or lŭbet, libuit (lub-) and libitum (lub-) est (in Cic. perh. only in the latter form), 2, v. n. and I. impers. (libeo, es, etc., as a personal verb acc. to Caper ap. Prisc. p. 922 P.)
Auch wieder in Eile: So wie ich die Angaben in Klammern interpretiere, gibt es offenbar einen gewissen Caper, den unser Priscian, den wir an anderer Stelle schon hatten, zitiert. Dieser Flavius Caper hat offenbar das normalerweise unpersönliche Verb libet persönlich konstruiert, und deswegen wird er von Priscian explizit genannt.
libeo, es, etc., as a personal verb acc. to Caper ap. Prisc. p. 922 P.
Diese Zeile ist so zu lesen:
libeo, es, etc., as a personal verb according to Caper [apud Priscianum pagina 922 P.]
libeo, es, etc., als persönliches Verb laut Caper [zitiert bei Priscian Seite 922 P.]
Was das letzte P bedeuten soll, ist mir im Moment nicht klar.
Ich verstehe das so, dass der Grammatiker Priscian festgestellt hat, dass es jemanden gibt, der das Verb liceo entgegen dem allgemein üblichen Gebrauch verwendet. Anscheinend gibt es also gar keinen direkten Beleg von diesem Caper mit solchen Formen von liceo. In diesem Fall würde ich sagen, dass nur die unpersönlichen Formen gültig sind.
Das ist die Frage: ich müsste erst recherchieren, um herauszufinden, was noch von diesem Caper überliefert ist. Lies mal hier: http://en.wikipedia.org/wiki/Flavius_Caper
De Lingua Latina und De Dubiis Generibus sind leider verloren gegangen, danach brauchen wir also gar nicht erst zu suchen. Ob ich De Orthographia (by Agroecius) und De Verbis Dubiis online finde, müsste ich erst sehen, ich befürchte aber, dass ich vielleicht diese Texte nicht online finden werde.
Ich tippe mal, dass Caper den Fall LIBET sogar in De Verbis Dubiis behandelt haben könnte. Es klingt mir sehr danach.
Naja, und der gute Priscian hat das gelesen und in seiner Grammatik bzw. seinem Wörterbuch erwähnt.
Ich würde gern die Stelle sehen, bevor ich sage, was ich davon halte. Wenn ich nicht Caper finde, dann will ich wenigstens bei Priscian nachschauen. Vielleicht finde ich ja die Stelle.
Es könnte nämlich so sein: Caper schreibt in De Verbis Dubiis, dass LIBEO unzulässig ist, und Priscian zitiert Caper, weil er diese Aussage für zutreffend hält, so nach dem Motto: "Schon der alte Caper hatte damals erkannt, dass..."
Es könnte aber auch so sein, dass Caper schreibt, dass LIBEO zulässig ist, was Priscian deswegen zitiert, weil er es merkwürdig findet.
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Linhärtchen, wir beide sind heute aber zwei zerstreute Professoren! Du schriebst zuletzt LICEO mit C, aber wir reden doch von LIBEO mit B, oder? Tippfehler!
Wie gut, dass wir zwei aufeinander aufpassen! Gemeinsam sind wir unschlagbar, yeah! <lol>
Danke, dass du mich auf den Fehler aufmerksam gemacht hast. Ich meinte natürlich LIBEO. Der Fehler kommt daher, dass ich in der Zwischenzeit auch bezüglich LICEO nachgesehen hatte. LICET ist ja auch unpersönlich, aber da gibt es außerdem das normale, vollständige Verb LICEO, sodass dort kein Problem auftritt.
Wenn die Recherche bezüglich Caper nichts Eindeutiges ergibt, würde ich nur die unpersönlichen Formen (inklusive Infinitiv und Partizipien) von LIBET zulassen, da auch der Georges keine anderen kennt.
Außerdem wäre nach unserer Grundsatzentscheidung auch LIBEO gültig, da es ein Stichwort ist.
Etwas problematisch wäre dann LUBEO. Das ist nämlich kein Stichwort, aber aus dem Artikel LIBET geht hervor, dass man statt lib- auch immer lub- sagen kann.
Also bei Caper auf http://htl2.linguist.jussieu.fr:8080/CGL/text.jsp?list=yes habe ich keine persönliche Form von LIBET (also LIBEO) gefunden, was mich an sich nicht wundert, denn wenn das so gewesen wäre, dann hätte L&S das garantiert vermerkt.
Leider sind die Stellenangaben bei Priscian auf http://htl2.linguist.jussieu.fr:8080/CGL/text.jsp?list=yes anders als im L&S, weshalb ich noch sämtliche Links auf gut Glück durchklicken muss, um nach LIBEO zu suchen. Ich verstehe nicht, warum man keine einheitliche Stellenangaben hat. Gestern Abend habe ich das nur zum Teil geschafft. Die Suche nach LIBEO geht also weiter.
Meine eigene Übersetzung habe ich in Blau eingefügt.
Zitat von Priscianus (inkl. Bussinchens eigener Übersetzung) similiter impersonalia |deficiunt in supinis et participiis, quae ex supinis nascuntur, ut piget, |pudet, quamuis quidam puditum posuerunt, ut Plautus in | Bacchidibus: |0561| «neque mei neque † tui te intus puditum est factis, |quae facis», |taedet, paenitet, liquet, licet, libet, oportet; sed compositum |pertaesum inuenitur et paenitens, unde paenitentia, et libens et licens, |unde licentia, et licitus. Virgilius in VIII: |«et licito tandem sermone fruuntur». |Horatius: |«licentum Satyrorum greges». |sciendum tamen, quod haec omnia inueniuntur perfectorum declinationem |habentia in usu ueterum teste Capro: pigeo, taedeo, pudeo, |paeniteo, liqueo, liceo, libeo, oporteo, quomodo placeo, contingo, |euenio, uaco, attineo, accido, iuuo, delecto, quorum tertiae personae |impersonalium uice funguntur: placet, contingit, euenit, uacat, |accidit, attinet. non tamen etiam si participia deficiant, deficiunt et uerba; |illa enim ex eis, non ista ex illis nascuntur.
Auf die gleiche Art und Weise fehlen bei den unpersönlichen Verben die Supine und die Partizipien, die sich aus den Supinen ableiten, so wie bei piget und pudet, auch wenn gewisse Autoren das Partizip puditum gesetzt haben, so wie Plautus in den Bacchides: «neque mei neque † tui te intus puditum est factis, |quae facis», |taedet, paenitet, liquet, licet, libet, muss es heißen; aber das Kompositum pertaesum kommt vor (= wird gefunden), und paenitens, wovon sich (wiederum) paenitentia ableitet, und libens sowie licens, |von dem sich licentia und licitus ableiten. Bei Vergil steht im 8. Buch: |«et licito tandem sermone fruuntur». |Und bei Horaz steht: |«licentum Satyrorum greges». Man muss aber wissen, dass alle folgenden Formen gebräuchlich sind, die laut Caper (= nach dem, was Caper bezeugt / die nach dem Zeugnis von Caper) die Deklination der alten Perfektformen haben: pigeo, taedeo, pudeo, |paeniteo, liqueo, liceo, libeo, oporteo, wie placeo, contingo, |euenio, uaco, attineo, accido, iuuo, delecto, bei denen die jeweils die dritte Person (= deren dritte Personen) an die Stelle der unpersönlichen Formen treten: placet, contingit, euenit, uacat, |accidit, attinet. Doch auch wenn die Partizipien fehlen, fehlen deswegen nicht die Verben [selbst]; die Partizipien werden nämlich aus den Verben abgeleitet, nicht umgekehrt.
Zitat von Priscianussimiliter impersonalia |deficiunt in supinis et participiis, quae ex supinis nascuntur, Auf die gleiche Art und Weise fehlen bei den unpersönlichen Verben die Supine und die Partizipien, die sich aus den Supinen ableiten,
ut piget, |pudet, quamuis quidam puditum posuerunt, so wie bei piget und pudet, auch wenn gewisse Autoren das Partizip puditum gesetzt haben,
ut Plautus in | Bacchidibus: |0561| «neque mei neque † tui te intus puditum est factis, |quae facis», so wie Plautus in den Bacchides: «neque mei neque † tui te intus puditum est factis, |quae facis»,
|taedet, paenitet, liquet, licet, libet, oportet; |taedet, paenitet, liquet, licet, libet, muss es heißen;
sed compositum |pertaesum inuenitur et paenitens, unde paenitentia, aber das Kompositum pertaesum kommt vor (= wird gefunden), und paenitens, wovon sich (wiederum) paenitentia ableitet,
et libens et licens, |unde licentia, et licitus. und libens sowie licens, |von dem sich licentia und licitus ableiten.
Virgilius in VIII: |«et licito tandem sermone fruuntur». Bei Vergil steht im 8. Buch: |«et licito tandem sermone fruuntur».
|sciendum tamen, quod haec omnia inueniuntur perfectorum declinationem |habentia in usu ueterum teste Capro: Man muss aber wissen, dass alle folgenden Formen gebräuchlich sind, die laut Caper die Deklination der alten Perfektformen haben:
quomodo placeo, contingo, |euenio, uaco, attineo, accido, iuuo, delecto, wie placeo, contingo, |euenio, uaco, attineo, accido, iuuo, delecto,
quorum tertiae personae |impersonalium uice funguntur: bei denen die jeweils die dritte Person (= deren dritte Personen) an die Stelle der unpersönlichen Formen treten:
Also dass die Formen der 3. Person Singular (d.h. die unpersönlichen Formen inklusive Infinitiv und Partizipien) zulässig sind, steht außer Zweifel.
Dass auch alle Formen mit U zulässig sind (LUBET) steht eigentlich auch außer Zweifel, weil das U statt eines I im Lateinischen generell recht häufig vorkommt: z.B. gibt es die Form PESSUMUS statt PESSIMUS, und bei LIBIDO (das ja denselben Wortstamm hat wie LIBET) steht LUBIDO im L&S sogar fettgedruckt dabei. Ich würde daher alle U-Formen (LUBET & Co.) zulassen, auch wenn diese in dem LIBET-Eintrag im L&S nicht fettgedruckt sind.
Dass die persönlich konstruierte Form LIBEO zulässig ist, steht auch außer Zweifel, weil diese Form einen eigenen Stichworteintrag hat.
Aber wie wir mit den anderen persönlich konstruierten Formen von LIBEO verfahren sollen, ist wieder eine Frage der Konsequenz.
Bei Priscian/Caper steht: |sciendum tamen, quod haec omnia inueniuntur perfectorum declinationem |habentia in usu ueterum teste Capro: Man muss aber wissen, dass alle folgenden Formen gebräuchlich sind, die laut Caper die Deklination der alten Perfektformen haben: pigeo, taedeo, pudeo, |paeniteo, liqueo, liceo, libeo, oporteo
Das Wort alle könnte sich auf alle nachfolgend genannten Verben beziehen, es könnte sich aber auch auf die Konjugationsformen beziehen. Ich würde die Stelle aber eher so interpretieren, dass sich haec omnia nur auf die nachfolgend zitierten Verben bezieht.
Im Grunde steht nichts explizit über die Zulässigkeit der Konjugationsformen LIBES, LIBEMUS, LIBETIS usw. im Text von Priscian bzw. Caper, man kann dies allenfalls implizieren. Seltsamerweise steht trotzdem im L&S: I. impers. (libeo, es, etc., as a personal verb acc. to Caper ap. Prisc. p. 922 P.) L&S hat also impliziert, dass Priscian meinte, dass alle Formen zulässig sind.
Im L&S-Artikel zu LIBET steht übrigens auch ein Beleg für LIBUISSENT, und zwar bei Sueton, allerdings ist diese Form nicht fettgedruckt, ebenso wenig wie die 2. Person Singular (LIB-)ES (etc.): Once in plur.: cetera item, quae cuique libuissent, dilargitus est, Suet. Caes. 20.
Lieber Linhart, ich weiß nun nicht, was die konsequenteste Vorgehensweise wäre. Man könnte natürlich hergehen und laut Priscian und Caper alle persönlichen Formen inkl. Suetons LIBUISSENT zulassen. Man kann aber genauso gut sagen, dass diese Formen im L&S nicht fettgedruckt sind und daher nicht zulässig sein sollen.
Ich habe jetzt nicht im Georges nachgeschaut, aber der wird sich zu dem Thema ja auch Gedanken gemacht haben, bevor er zu dem Schluss kam, die persönlichen Formen überhaupt nicht erst zu nennen.
Ich glaube, ich tendiere daher dazu, mich deiner Auffassung (aber nicht im Falle LUBET, das ich durchweg für gültig halte) anzuschließen:
Zitat von linhartWenn die Recherche bezüglich Caper nichts Eindeutiges ergibt, würde ich nur die unpersönlichen Formen (inklusive Infinitiv und Partizipien) von LIBET zulassen, da auch der Georges keine anderen kennt.
Außerdem wäre nach unserer Grundsatzentscheidung auch LIBEO gültig, da es ein Stichwort ist.
Entscheide du!
Gero meinte, im Zweifelsfall sei es grundsätzlich besser, weniger Formen einzugeben, d.h. eventuell auf das Einpflegen von richtigen Formen zu verzichten, als zu viele fragliche oder gar falsche Formen aufzunehmen. Diesem Grundsatz kann ich mich vorbehaltlos anschließen.
Welche Formen sind eigentlich im Spellchecker drin?
Vielen Dank für deine gründliche Recherche. Ich schließe mich auch der Denkweise von Gero an, dass es im Zweifelsfall besser ist, ein Wort wegzulassen. Ich werde also nur die unpersönlichen Formen (inklusive Infinitiv und Partizipien) von LIBET und LUBET aufnehmen, sowie LIBEO und LUBEO.
Spellchecker lässt hier alle Konjugationsformen zu. Es scheint bei den Spellcheckerdateien überhaupt der gegenteilige Grundsatz vorzuherrschen, nämlich im Zweifelsfall ein Wort oder eine Wortform lieber aufzunehmen (siehe z.B. Passivformen von Verben wie dormire). Das mag für die Rechtschreibprüfung gerechtfertigt sein, für Scrabble ziemlich sicher nicht.
Zitat von linhartSpellchecker lässt hier alle Konjugationsformen zu. Es scheint bei den Spellcheckerdateien überhaupt der gegenteilige Grundsatz vorzuherrschen, nämlich im Zweifelsfall ein Wort oder eine Wortform lieber aufzunehmen (siehe z.B. Passivformen von Verben wie dormire). Das mag für die Rechtschreibprüfung gerechtfertigt sein, für Scrabble ziemlich sicher nicht.
I agree! Ich gehe 100%ig konform mit dir. Unser latin.dic hat eine völlig andere Zielsetzung als die Spellcheckerliste.
Zitat von linhartVielen Dank für deine gründliche Recherche. Ich schließe mich auch der Denkweise von Gero an, dass es im Zweifelsfall besser ist, ein Wort wegzulassen. Ich werde also nur die unpersönlichen Formen (inklusive Infinitiv und Partizipien) von LIBET und LUBET aufnehmen, sowie LIBEO und LUBEO.
Ja, ich glaube auch, das ist eine gute Vorgehensweise. Mach so, Linhart.
Wir können ja immer argumentieren, dass im L&S die persönlichen Formen im Caper-Zitat bei Priscian nicht fett gedruckt sind, und wir können argumentieren, dass selbst bei Priscian/Caper nur die form LIBEO explizit genannt ist, nicht aber LIBES, die L&S angibt. Lewis und Short interpretieren nur die Caper-Aussage, indem sie libeo, es, etc. angeben, aber es sieht mir ganz danach aus, dass diese Formen gar nirgends konkret belegt sind!
Zitat von linhartIch werde also nur die unpersönlichen Formen (inklusive Infinitiv und Partizipien) von LIBET und LUBET aufnehmen, sowie LIBEO und LUBEO.