Zitat von linhart in einer E-Mail an BussinchenDer Artikel für "fortan" sieht bei mir so aus: $L fortan %L , false read. for jam, Cic. Rep. 3, 35, 47.
Mein geplantes Programm muss also erkennen, dass es sich bei "false" nicht um eine Endung oder Beugungsform handelt, sondern dass "fortan" ein unzulässiges Wort ist. (Oder soll "fortan" doch gelten, weil es einen eigenen Stichworteintrag hat ???)
Bussinchen: Die fetten Hervorhebungen im Zitat sind von mir, weil dies die Frage ist, um die es geht.
Darauf antwortete ich:
Zitat von Bussinchen in einer E-Mail an linhartBevor ich etwas zu fortan sage, will ich erst mal unseren Freund Cicero befragen: Cic. Rep. 3, 35, 47. (De re publica) Mal schaun, was der dazu sagt!
Es handelt sich hier im das Faksimile der folgenden eingescannten Ausgabe von Angelo Mai:
M. TVLLII CICERONIS DE RE PVBLICA LIBRORVM RELIQVIAE E PALIMPSESTO AB ANGELO MAIO NVPER ERVTAE ... MDCCCXXIII
Hier haben wir den besonderen Fall, dass dieses Werk zunächst als nicht überliefert bzw. verloren galt, dass es aber zum Glück schließlich doch noch auf einem Palimpsest gefunden wurde. In der Wikipedia lesen wir hierzu:
Zitat von Wikipedia auf http://de.wikipedia.org/wiki/De_re_publica#WerkgeschichteDieses Werk aus Ciceros erster philosophischer Phase galt lange Zeit als verloren. Man kannte die Inhalte lediglich aus Fragmenten und Zitaten bei anderen Autoren, während eine Originalüberlieferung unauffindbar war. Erst 1819 fand Angelo Mai in der Vatikanischen Bibliothek einen Palimpsest, in dem weite Teile des ersten und zweiten Buches, ferner Ausschnitte des dritten, vierten und fünften Buches, aber keinerlei Spuren des sechsten zu finden waren, wobei der Großteil des sechsten Buches ohnehin durch die gesonderte Überlieferung des Somnium Scipionis bekannt war.[1] Man versuchte, vorhandene Fragmente und Zitate dem Kontext entsprechend einzuordnen. Überschrieben war Ciceros de re publica mit Psalmkommentaren Augustinus. Trotz des überraschenden Fundes gab es keine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Werk. Erst 1918 begann man sich mit dem Text genauer auseinanderzusetzen. Dieser Prozess hält bis heute an.
Was ist nun ein Palimpsest? Ein Palimpsest ist meist ein Papyrus (oder auch ein Pergament), der bereits einmal handschriftlich beschrieben war, von dem die erste Handschrift aber wieder abgeschabt oder abgewaschen (radiert) wurde, und der danach mit einer neuen Handschrift überschrieben wurde. Es ist jedoch möglich, die ursprünglichen, ausradierten Texte lesbar zu machen und auf diese Weise die alten Texte zu retten. Einzelheiten sind im Wikipedia-Artikel Palimpsest nachzulesen.
Es leuchtet ein, dass auf Palimpsesten überlieferte Texte manchmal schwer zu entziffern sind und dass es daher von ein und demselben Text verschiedene Lesarten gibt (was aber auch häufig bei anderen Codices, die keine Palimpseste sind, der Fall ist). In der Ausgabe von Angelo Mai von 1823 lautet der Satz mit dem fraglichen Wort:
Quare cogitato Romulum aut Pompilium aut Tullum regem, fortan non tam illius te rei publicae paenitebit.
Quare cogitato Romulum aut Pompilium aut Tullium regem, fortasse non tam illius te rei publicae paenitebit. M. Tullius Cicero. Librorum de Re Publica Sex. C. F. W. Mueller. Leipzig. Teubner. 1889. Scanned printed text.
Denke dir nur einen König so wie Romulus, Pompilius oder Tullus, und vielleicht wirst du dann mit dieser Staatsform weniger unzufrieden sein.
Nun wäre es natürlich schön, wenn wir den textkritischen Apparat einer wissenschaftlichen Ausgabe einsehen könnten. Leider ist auf der Webseite Thelatinlibrary kein krititscher Apparat beigefügt, sondern man hat sich einfach auf eine Lesart festgelgt, ohne dass diese kommentiert oder diskutiert wird. Es wird aber zugleich betont, dass diese Webseite nicht den Anspruch erhebt, wissenschaftlichen Zwecken zu dienen, siehe http://www.thelatinlibrary.com/about.html:
The texts are not intended for research purposes nor as substitutes for critical editions. Despite constant effort to remove “scanner artifacts” and other typographical errors, many such errors remain. The texts are presented merely for ease of on–line reading or for downloading for personal or educational use.
Ich bin noch auf der Suche nach einem textkritischen Apparat; leider habe ich bis jetzt noch keinen gefunden.
Das ist natürlich hochinteressant, ich möchte dich aber daran erinnern, dass es in erster Linie um eine Grundsatzfrage geht. In L&S kommt nämlich in 110 Artikeln (Eigennamen nicht mitgerechnet) die Anmerkung "false read." oder "false reading" vor.
Ich bin aber schon der Meinung, dass solche Einzelfalluntersuchungen Wesentliches zu einer fundierten Grundsatzentscheidung beitragen.
FORTAN steht weder in der Spellcheckerliste noch in den Listen von Whitaker (DICTPAGE und LISTALL).
Von den 110 L&S-Lemmata mit "false reading" kommen nur 9 in der Spellchecker-Liste vor und 6 bzw. 15 in den Whitaker-Listen. Dabei handelt es sich teilweise um Wörter, die zwar richtig sind, aber auch als "false reading" statt eines anderen Wortes in der Literatur vorkommen.
Nur zwei eigentliche "false readings" stehen in allen diesen Listen, nämlich
COLLIMO (for collineo) (bei Whitaker aber in anderer Bedeutung als collineo, nämlich "direct (eyes) sideways; glance sidelong"),
DISSIDIUM (for discidium).
Es spricht also einiges dafür, die eigentlichen "false readings" nicht als gültig anzuerkennen.
Zitat von linhartDas ist natürlich hochinteressant, ich möchte dich aber daran erinnern, dass es in erster Linie um eine Grundsatzfrage geht.
Ja, Linhart, ich betrachte *FORTAN als eine Art Präzedenzfall und möchte mir ein eigenes Bild davon machen, was false read. bzw. false read. for jam genau impliziert. Ich hoffe, dass wir dann, wenn wir mit *FORTAN fertig sind, eine Grundsatzentscheidung fällen können.
Zitat von linhartFORTAN steht weder in der Spellcheckerliste noch in den Listen von Whitaker (DICTPAGE und LISTALL).
Danke, das ist schon mal interessant zu wissen - ganz allgemein.
Zitat von linhartVon den 110 L&S-Lemmata mit "false reading" kommen nur 9 in der Spellchecker-Liste vor und 6 bzw. 15 in den Whitaker-Listen. Dabei handelt es sich teilweise um Wörter, die zwar richtig sind, aber auch als "false reading" statt eines anderen Wortes in der Literatur vorkommen.
Nur zwei eigentliche "false readings" stehen in allen diesen Listen, nämlich
COLLIMO (for collineo) (bei Whitaker aber in anderer Bedeutung als collineo, nämlich "direct (eyes) sideways; glance sidelong"),
DISSIDIUM (for discidium).
Es spricht also einiges dafür, die eigentlichen "false readings" nicht als gültig anzuerkennen.
Wir können zunächst mal festhalten:
false read. bedeutet auf Deutsch: Falsche Lesart. Es bedeutet nicht automatisch, dass das betreffende Wort als Wort falsch ist; "falsche Lesart" bedeutet vielmehr, dass man einen Codex, einen Papyrus, einen unleserlichen Palimpsest (allem Anschein nach) zunächst mal falsch gedeutet hat, und dass sich die Altphilologen heute darüber einig sind, dass diese Lesart höchstwahrscheinlich nicht der Ausdruck war, den der antike Autor in seinem Originaltext geschrieben hatte. Wir mussten uns im Studium auch immer mit verschiedenen Lesarten auseinandersetzen und aufgrund gewisser Kriterien entscheiden, welche Lesart die wahrscheinlichste ist. Normalerweise werden die verschiedenen Lesarten im textkritischen Apparat wissenschaftlicher Ausgaben angegeben. Deshalb suche ich ja noch im Internet nach einer Faksimilie-Ausgabe, wo ein textkritischer Apparat für *FORTAN dabei ist. Ich befürchte aber, dass ich vielleicht gar keinen online finden werde.
Ich würde mir an sich gern ein eigenes Bild davon machen, wie die 110 L&S-Lemmata mit "false reading" genau aussehen. Könntest du daher vielleicht mal eine Liste mit all diesen false-readings-Lemmata posten? Ich denke aber, wenn die besagten Wörter zulässige, d.h. korrekte lateinische Wörter sind, dann dürften sie in L&S keinen eigenen Lemmaeintrag haben, sondern dürften innerhalb des Artikels des entsprechenden gültigen Lemmas höchstens als Hinweis auf die Belegstelle, die als falsche Lesart zu betrachten ist, vermerkt sein. Von daher tendiere ich im Moment auch dazu zu sagen, dass "false-reading-L&S-Lemmata" als ungültig einzustufen sind. Aber bevor ich mich festlege, möchte ich noch etwas mehr handfeste Argumente haben. ;-)
Bei "jam" nehme ich an, dass es das lateinische Wort "iam" ist, denn in L&S wird das i als j geschrieben, wenn es wie das deutsche j ausgesprochen wird. Das stimmt aber nicht mit den von dir angegebenen Deutungen überein.
Anbei die Liste der 110 "false readings".
Von diesen stehen nur die folgenden in der Spellcheckerliste:
Zitat von linhartBei "jam" nehme ich an, dass es das lateinische Wort "iam" ist, denn in L&S wird das i als j geschrieben, wenn es wie das deutsche j ausgesprochen wird. Das stimmt aber nicht mit den von dir angegebenen Deutungen überein.
Das dachte ich zunächst auch, aber wenn statt der Lesart *FORTAN, die Angelo Mai nach dem Fund des betreffenden Palimpsests 1819 in seiner allerersten Ausgabe von Ciceros De re publica von 1823 gewählt hatte, heute die Lesart FORTASSE (= vielleicht) üblich ist, dann passt iam (= schon, bereits) da IMHO überhaupt nicht rein.
Danke schon mal für die Liste, die ich aber erst heute Abend genauer inspizieren kann.
FORTAN wird auch in den L&S-Artikeln zu FORSAN und FORSITAN erwähnt (mit "cf."). Aus meiner naiven Sicht kommt es mir am wahrscheinlichsten vor, dass FORTAN eigentlich FORSAN heißen sollte (Bedeutung: "vielleicht", also praktisch synonym zu FORTASSE und FORSITAN). Aber auch die Weglassung von zwei Buchstaben von FORSITAN erscheint mir noch plausibler als die Ersetzung von SSE durch N. Ich hätte fast Lust, das Original unter die Lupe zu nehmen ...
Zitat von linhartIch hätte fast Lust, das Original unter die Lupe zu nehmen ...
Ich ja auch Linhart!!!!!!!!! Ich würde am liebsten den Palimpsest sehen!!! Komm, wir zwei fahren am besten zum Vatikan, wo der Codex verwahrt wird! Fährst du mit????
Auf archive.org habe ich nun mehrere Ausgaben von Ciceros De re publica gefunden, die ich der Reihe nach mal angeklickt habe, um unsere besagte *FORTAN-Textstelle einzusehen:
Dort lautet der Text: Quare cogitato Romulum aut Pompilium aut Tullum regem, fortan (1) non tam illius te rei publicæ pœnitebit.
Im textkritischen Apparat steht: -I. Le manuscrít porte bien fortan ; cette leçon est défendue par plusieurs critiques. Ailleurs forsan forsitan fore. In der Handschrift steht wirklich fortan; diese Lesart wird von mehreren Kritikern verteidigt. Anderswo steht forsan, forsitan, fore.
Dort lautet der Text: Quare cogitato Romulum aut Pompilium aut Tullum regem, fortan d) non tam illius te rei publicae paenitebit.
Im textkritischen Apparat steht: d) Ita cod. perspicue . Est autem vocabulum omnino tullianum , et in lexica referendum cum forsitan et fortassean et forsan. So ist der codex klar. Es ist aber ein absolut Cicero-typisches Wort und ist daher zusammen mit forsitan, fortassean und forsan in die Lexika aufzunehmen.
Zitat von linhartFORTAN wird auch in den L&S-Artikeln zu FORSAN und FORSITAN erwähnt (mit "cf."). Aus meiner naiven Sicht kommt es mir am wahrscheinlichsten vor, dass FORTAN eigentlich FORSAN heißen sollte (Bedeutung: "vielleicht", also praktisch synonym zu FORTASSE und FORSITAN). Aber auch die Weglassung von zwei Buchstaben von FORSITAN erscheint mir noch plausibler als die Ersetzung von SSE durch N. Ich hätte fast Lust, das Original unter die Lupe zu nehmen ...
Jetzt geht's ans Eingemachte, lieber Linhart! Wir kommen endlich zur eigentlichen Textkritik. Textkritk habe ich seit fast 30 Jahren nicht mehr gemacht, aber ich will mal versuchen zu argumentieren. Natürlich ist alles letztlich reine Spekulation.
Es gibt in der Textkritik das Prinzip der lectio difficilior. Dieses Prinzip besagt, dass eine "schwierigere" Lesart mit höherer Wahrscheinlichkeit richtig ist als eine auf Anhieb "leichter" verständliche Lesart. Man geht davon aus, dass die antiken und mittelalterlichen Schreiber den Text, den sie abschrieben, manchmal gar nicht verstanden und dann in ihrer Not einfach ein ähnlich aussehendes, aber ihnen bekanntes und geläufiges Wort anstatt des schwierigeren Originalwortes einsetzten. Je mehr Schreiber im Laufe der Überlieferung nacheinander am Werk waren, desto mehr verfälscht und flacher wurde dadurch der Text.
Nun ist wohl das geläufigste Wort für vielleichtfortasse. Das lernt man schon im Anfängerkurs. Ich glaube eigentlich nicht, dass bei unserer verderbten Cicero-Textstelle ausgerechnet das Wort fortasse stand, das durch ein kürzeres Wort wie etwa fortan ersetzt wurde. Ich denke, wenn im Original das längere fortasse gestanden hätte, dann wäre möglicherweise ein zu breiter Zwischenraum zwischen dem -n von fortan und dem darauffolgenden Wort non entstanden. Allerdings weiß ich nicht, was für eine Form das S im Palimpsest hatte; häufig schrieb man bei Anwendung von Minuskeln das lange schmale S ähnlich der alten deutschen Schrift, und dann wäre mein eben genanntes Argument hinfällig. Ich würde aber mit dem Argument der lectio difficilior das Wort fortasse erst mal ausschließen. In den 14 von Google digitalisierten Public-domain-Ausgaben von De re publica aus dem 19. Jh. kommt fortasse tatsächlich auch nur 2-mal vor. Ein Argument für die Lesart fortasse wäre, dass dieses Wort in der Tat häufig bei Cicero vorkommt, wie dem L&S-Artikel zu fortasse zu entnehmen ist. Jedenfalls werden für fortasse gleich mehrere Belegstellen von Cicero angegeben. Gegen das Argument der lectio difficilior spräche auch die Tatsache, dass wir als Handschrift keinen mittelalterlichen Codex, sondern einen spätantiken Palimpsest vorliegen haben, was die Zahl der Schreiber, die am Werk waren, erheblich reduzieren dürfte.
Zunächst tendierte ich auch zur Lesart forsan, bin mir inzwischen aber nicht mehr so sicher, ob Cicero forsan verwendet haben könnte. Im L&S steht unter forsan, dass dieses elliptisch aus fors sit an entstandene Wort poetisch ist und in post-augusteischer Prosa verwendet wurde. Nun ist Cicero aber vor Augustus geboren und auch gestorben: Augustus starb 14 n. Chr., Cicero bereits 43 v. Chr. Aufgrund dieser Chronologie dürfte es relativ unwahrscheinlich sein, dass Cicero den Ausdruck forsan verwendet hat - wobei das Argument der Chronologie m.E. trotz allem schwach ist, da Sprachgebrauch sich ja nicht sklavisch auf ein paar Jahre hin oder her fest abgrenzen lässt.
Gegen das ebenfalls aus fors sit an hervorgegangene forsitan spricht die Verwendung des Futurs im Verb paenitebit. Im L&S steht im Artikel zu forsitan, dass Cicero dieses Wort ausnahmslos zusammen mit einem Verb im Konjunktiv gebraucht hat. Da wäre es schon erstaunlich, wenn er ausgerechnet hier das Futur gebraucht hätte. Zitat L&S: forsĭtan - A. With subj. (class. and freq.; only so in Cicero):... und B. With indic. (mostly poet. and in post-Aug. prose; not in Cic.):...
fortassean ist laut L&S vor- und nachklassisch, aber nicht klassisch, und da Cicero und Caesar die beiden Klassiker par excellence sind, würde ich, abgesehen von der Wortlänge - diese Wortwahl ausgerechnet bei Cicero ausschließen.
fortassis als Nebenform von fortasse kommt generell sehr selten vor, daher würde ich dieses Wort ausschließen.
*forsit als Hapax legomenon bei Horaz, zitiert von Priscian, kommt für Cicero normalerweise auch nicht in Frage.
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Eigentlich geht es uns hier im Scrabble-Zusammenhang ja nicht darum, die richtige Lesart für unsere Cicero-Stelle zu finden. Es geht vielmehr darum zu entscheiden, ob es sich bei fortan um eine falsche Lesart handelt oder nicht. Genauer gesagt ist es nicht einmal relevant, ob fortan nur als eine falsche Lesart zu betrachten ist, denn wir haben ja bereits gesehen, dass eine erwiesenermaßen falsche Lesart noch lange nicht bedeuten muss, dass es sich um ein falsches/ungrammatisches/inexistentes Wort handeln muss. Es geht also darum, zu entscheiden, ob fortan scrabble-zulässig sein soll oder nicht.
Wir haben es hier wirklich mit einem extrem schwierigen Fall zu tun. Zu allem Übel ist fortan laut L&S ein Hapax legomenon, d.h. das Lemma ist im L&S mit einem Asterisk versehen. forsan, forsit, forsitan, fortasse, fortassis - sie alle haben einen Eintrag im Langenscheidt, nicht aber fortan. Wenige Stichproben haben ergeben, dass im L&S als Hapax legomena gekennzeichnete Wörter im Langenscheidt einen Lemmaeintrag haben können (aber nicht müssen), der allerdings nicht erkennen lässt, ob/dass es sich um ein Hapax legomenon handelt: so z.B. stehen formularius, forsit, formicinus im Langenscheidt, andere Hapax legomena aus dem L&S hingegen nicht. Was für Rückschlüsse können wir dadurch auf fortan ziehen? Zumindest sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein zulässiges Wort handelt.
Was mir keine Ruhe lässt, ist der höchst merkwürdige Eintrag zu fortan im L&S. Da steht: *fortan, false read. for jam, Cic. Rep. 3, 35, 47. Was soll nur for jam bedeuten? Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen. jam/iam als alternative Lesart statt fortan kommt nicht in einem einzigen der textkritischen Apparate vor, die ich eingesehen habe. Das macht mir den ganzen L&S-Eintrag verdächtig! Könnte es sein, dass den Herren Lewis und Short hier ein Fehler unterlaufen ist?
Gegen die Richtigkeit des L&S-Eintrags zu fortan sprächen nicht nur das mir absolut unverständliche jam, sondern auch die Tatsache, dass so viele Herausgeber aus dem 19. Jh. sich für die Lesart fortan entschieden haben. Charles (1874) schreibt sogar: "Le manuscrít porte bien fortan ; cette leçon est défendue par plusieurs critiques. Ailleurs forsan forsitan fore." (Meine Übersetzung: "In der Handschrift steht wirklich fortan; diese Lesart wird von mehreren Kritikern verteidigt. Anderswo steht forsan, forsitan, fore".) Angelo Mai, der den Palimpsest gefunden und als erster untersucht hatte, schreibt sogar: "Est autem vocabulum omnino tullianum , et in lexica referendum cum forsitan et fortassean et forsan." - "Es ist aber ein absolut Cicero-typisches Wort und ist daher zusammen mit forsitan, fortassean und forsan in die Lexika aufzunehmen." - wobei ich in den letzten Tagen bei meinen Recherchern im Internet irgendwo gelesen hatte, dass Angelo Mai angeblich ein tüchtigerer Paläograph als Textkritiker gewesen sei. Wie man zu dieser Auffassung kommt, müsste aber erst mal eruiert werden... Im Gegenteil: die Tatsache, dass er ein tüchtiger Paläograph gewesen sein mag, spräche m.E. sogar für die Richtigkeit der Lesart fortan.
Ich schwanke inzwischen tatsächlich zwischen den Lesarten fortasse und fortan. Da fortan aber offenbar ein Hapax legomenon ist, müsste man in Erfahrung bringen, wie häufig bei Cicero Hapax legomena vorkommen. Ich lese: "Cicero has many words which are Hapax legomena, at least in classical Latin, two of them occuring in this speech [...]: for a list see F. Ellendt on De Orat. 2.94." (Die Quelle gebe ich wegen des extrem langen Links nicht an, weil sonst in diesem Internetfenster mit dem Forum ein extrem langer Scrollbar aktiviert wird.)
Ich fasse zusammen:
Für die Richtigkeit der Lesart, gegen die Aussage von L&S und damit für die Scrabble-Zulässigkeit des Wortes fortan spricht der Konsens und die relative Häufigkeit der Lesart fortan bei den Herausgebern des 19. Jahrhunderts, das Argument der lectio difficilior, das relativ häufige Vorkommen von Hapax legomena bei Cicero, die Tatsache, dass Angelo Mai ein tüchtiger Paläograph war, Platzgründe auf dem Palimpsest, der merkwürdige Vermerk "for jam" im L&S, der den Artikel zu fortan unglaubwürdig macht - zumindest so lange, bis ich eines Besseren belehrt werde und weiß, was es mit diesem "jam" auf sich hat.
Gegen die Richtigkeit der Lesartfortan sprechen die Aussage des als seriös einzustufenden Wörterbuchs L&S als solche, das Fehlen eines Lemmaeintrags fortan im Langenscheidt (schwaches Argument), die relative Häufigkeit des klassischen Wortes fortasse bei Cicero, die Tatsache, dass fortan nirgends sonst in der überlieferten Literatur vorkommt, es sei denn man lässt die Lesart fortan bei Cicero zu, die Tatsache, dass ich die modernen Forschungsergebnisse nicht berücksichtigen kann, weil ich zum einen aus praktischen Gründen, zum anderen aber auch aus Copyright-Gründen auf Public-domain-Literatur angewiesen bin, die frei und bequem im Internet abrufbar ist. Diese Literatur ist daher schon sehr alt (im Schnitt 150 Jahre). Es ist jedoch anzunehmen, dass es neuere Forschungsergebnisse gibt, da man den Palimpsest heute sicher mit moderneren technischen Mitteln als damals im 19. Jh. untersuchen kann.
Es gibt auch noch eine dritte Variante: Es könnte sich nämlich auch um die richtige Lesart, aber einen Fehler des Palimpsest-Schreibers handeln. Es könnte so sein, dass sich der Schreiber aus Versehen vertan hat und dass auf dem Palimpsest tatsächlich fortan steht. Dann wäre das Wort fortan aber höchstwahrscheinlich nicht scrabble-zulässig.
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Mein lieber Linhart, was machen wir nun? Was hältst du von meinen Argumenten für und gegen die Zulässigkeit von fortan? Hilf mir bitte...