Und wieder bereitet mir die griechische Deklination Kopfzerbrechen. Wie dekliniert man BIOS richtig? In L&S steht:
Zitat bĭŏs , i, m., = βίος (life), I. a very celebrated and wholesome Greek wine, Plin. 14, 8, 10, § 77; 23, 1, 26, § 53.
Das Angabe des i-Genitivs lässt darauf schließen, dass es wie die lateinischen Substantiva auf -us dekliniert wird, und das entspricht auch dem, was z.B. in der Grammatik von Allen Greenough steht (http://perseus.uchicago.edu/cgi-bin/phil...rseusMonographs). Man könnte höchstens darüber diskutieren, ob der Akkusativ BION oder BIUM heißt. Das WST kennt beide, sowie alle anderen Singular-Fälle bis auf den Vokativ. Aber warum fehlt der Vokativ? Der müsste doch BIE heißen, oder?
(Die Spellcheckerlisten kennen generell diesen Vokativ von griechischen Wörtern auf -os nicht.)
Im Rubenbauer/Hofmann steht zur griechischen o-Deklination (=2. Deklination) Folgendes:
Zitat von Rubenbauer/Hofmann Lateinische GrammatikNach der zweiten lat. Deklination werden die griech. o-Stämme dekliniert, außerdem die Wörter auf -eus, z.B. Orpheus, Gen. Orphei, Dat./Abl. Orpheo, Akk. Orpheum, aber Vok. Orpheu. Die Eigennamen der o-Stämme behalten in Nom. und Akk. gern die griechische Endung bei: z.B. Delos (f), -on, Ilion.
Aufgrund der Aussage, dass die griechische Akk.-Endung gern bei Eigennamen stehenbleibt, dass normale Substantive aber nach der lat. o-Deklination gebeugt werden, würde ich als Akk. für BIOS BIUM angeben und BION für unzulässig einstufen, obwohl auf der Webseite http://perseus.uchicago.edu/cgi-bin/phil...rseusMonographs als Akk. für MYTHOS MYTHON angegeben ist. In puncto Glaubwürdigkeit würde ich rein intuitiv der Druckversion der Grammatik von Rubenbauer/Hofmann gegenüber der Webseite den Vorrang geben. Sicher ist es so, dass der Gebrauch auch schwanken mag; man kann das vielleicht nicht so pauschal sagen, wie Rubenbauer/Hofmann das tut. Aber da wir eine klare Richtlinie brauchen und vor allem auch konsequent sein müssen, denke ich, dass wir uns guten Gewissens Rubenbauer/Hofmann anschließen können. Die meisten Belege, die auf http://www.perseus.tufts.edu/hopper/sear...ords=&documents= für BION angegeben werden, scheinen sich auf den Eigennamen zu beziehen, vgl. http://www.perseus.tufts.edu/hopper/morp...n&la=la#lexicon: "a very witty philosopher of the Cyrenaic school".
Ich weiß nicht, wie viel Verlass auf das WST von Perseus wirklich ist. Ich hege gewisse Zweifel, denn wir hatten ja schon mehrfach Fehler festgestellt. Folgende Angaben zu den Formen können einfach nicht stimmen:
bion noun sg masc nom bion noun sg masc dat bion noun sg masc abl bion noun pl masc acc
Der Vokativ müsste in der Tat BIE lauten. Dass kein Vokativ in den Spellcheckerlisten angegeben ist, hängt möglicherweise damit zusammen, dass man im Normalfall nur Personen bzw. Lebewesen anreden kann (dichterische Freiheit geht natürlich immer). Ich weiß nicht, wie wir konkret mit BIE verfahren sollen. Ich glaube, wir müssten hier eine willkürliche Grundsatzentscheidung fällen, Linhart. Es geht dabei um die Frage, ob es überhaupt angebracht ist, den Vokativ bei den Wörtern, die keine Lebewesen bezeichnen, zu bilden. Da die Ermittlung von Personenbezeichnungen aus praktischen Gründen wahrscheinlich undurchführbar ist, müssten wir wohl entscheiden, wie wie wir im Hinblick auf unser latin.dic verfahren. Vielleicht sollten wir aus praktischen Erwägungen den Vokativ auch da zulassen, wo die Spellcheckerliste den Vokativ nicht kennt, ungeachtet der Tatsache, dass bei dieser Grundsatzentscheidung Bezeichnungen von Menschen, Tieren und Dingen/Sachverhalten/Abstrakta in einen Topf geworfen werden.
Da es beim Scrabble ja keine Eigennamen gibt, werden vermutlich die meisten Wörter auf -os keine Lebewesen bezeichnen, sodass der Vokativ nicht so sinnvoll wäre. Andererseits kann man natürlich auch z.B. einen guten Wein unter Umständen direkt anreden.
Vielleicht suche ich doch einmal alle Wörter auf -os heraus und schaue sie ein bisschen näher an.
Ich sehe gerade, dass es in L&S 675 Stichwörter auf -os gibt, wovon ein beträchtlicher Teil keine Eigennamen sind.
Auf den ersten Blick dürften diese tatsächlich größtenteils keine menschlichen oder tierischen Lebewesen bezeichnen. Es sind aber eine ganz Reihe Pflanzen dabei. Ob man die eher anreden kann als irgendwelche unbelebten Dinge?
Na ja, ich bin jedenfalls für eine einheitliche Regelung. Und da wir bei den echt lateinischen Wörtern überall den Vokativ zulassen werden, sollten wir das wohl auch für die griechischen Wörter tun.
Zitat von linhartNa ja, ich bin jedenfalls für eine einheitliche Regelung. Und da wir bei den echt lateinischen Wörtern überall den Vokativ zulassen werden, sollten wir das wohl auch für die griechischen Wörter tun.
Eben, das ist das Problem. Ich sehe prinzipiell keinen Unterschied zwischen Wörtern der lateinischen o-Deklination mit Nominativ auf -us (Beispiel: dominus, -i) und der griechischen o-Deklination mit Nominativ auf -os (Beispiel: bios, -i).
Wenn in den Diogenes-Listen für alle Wörter vom Typus dominus der Vokativ auf -e aufgeführt ist, egal, ob es sich um Animata (Belebtes: Personen, Tiere, Grenzfall Pflanzen) oder Inanimata (Unbelebtes: Dinge, Sachverhalte, Abstrakta usw.) handelt, dann sehe ich nämlich auch keinen Grund, warum dies bei den aus dem Griechischen entlehnten Wörtern vom Typus bios nicht genauso gehandhabt werden sollte. Ich sehe, dass wir uns auch in diesem Punkt wieder einig sind, lieber Linhart.