Hallo allerseits!
Eben habe ich folgendes Schreiben via
http://www.duden.de/service/softwaresupport/hotline.php an den Duden gemailt.
Ich bin wirklich sehr gespannt, ob, und wenn ja, was man mir antworten wird.
Ich halte euch in jedem Fall auf dem Laufenden!
Liebe Grüße vom Bussinchen
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Hier der Wortlaut meiner an den Duden gerichteten E-Mail:
E-Mail an den Duden – Frage zur Lexikographie
Guten Tag!
Zurzeit nehme ich an einem sprachwissenschaftlichen germanistischen Seminar der Universität Stockholm teil, in dem u. a. die Frage, was ein Wort sei, diskutiert wurde (Diskussion zur Definition). Dabei stellte ich die Frage in den Raum, wie man denn konkret (z. B. beim Duden, aber auch bei anderen Wörterbüchern) verfährt, wenn Wörter lexikographisch aufgenommen oder eliminiert werden. Welche Kriterien liegen zugrunde? Wer hat die "Macht" über die "Dicke" der Wörterbücher? Liegen Korpora zugrunde, bei denen die Frequenz analysiert wird, mit der Wörter in mündlichen und schriftlichen Texten vorkommen? Wer bestimmt die Art und Anzahl dieser Korpora? Ist Statistik wirklich immer repräsentativ?
Jedenfalls wundert es mich immer wieder und ich staune nicht schlecht, wenn ich z. B. beim Scrabble-Spielen auf Wörter stoße, die im Rechtschreib-Duden, 24. Auflage, stehen, obwohl diese nach meinem eigenen Sprachgefühl zu urteilen im normalen Sprachgebrauch (und wahrscheinlich selbst in älteren Texten) extrem selten vorkommen, während andere Wörter, die einem völlig geläufig sind und die bewiesenermaßen sehr häufig im täglichen Sprachgebrauch, in der Presse, in den Medien, in der Reklame oder als fachsprachliche Termini vorkommen, nicht im Duden stehen. Ich stelle diese Frage aus zwei Gründen: zum einen, weil es mich unter wissenschaftlichen Aspekten interessiert, zum anderen, weil ich auch gern Scrabble spiele und es in dem Spiel laut offiziellem Reglement nicht zulässig ist, Wörter zu legen, die nicht in der jeweils neuesten Ausgabe des Rechtschreib-Duden stehen (siehe
http://www.scrabble.de/rules.php?f=&sub=3 ).
Ich erlaube mir, ein paar Beispiele für mir aufgefallene, heute extrem selten gebrauchte Wörter zu geben, die trotzdem im aktuellen Rechtschreib-Duden stehen:
· ou|t|rie|ren <franz.> (geh. für übertreiben)
· Kal|kant, der; -en, -en <lat.> (Blasebalgtreter an der Orgel)
· Nul|li|tät, die; -, -en (selten für Nichtigkeit; Ungültigkeit)
· ob|wal|ten [auch ...'¡...]; es waltet[e] ob, auch es obwaltet[e]; obgewaltet; obzuwalten
· ehr|pus|se|lig (mit einem kleinlichen, spießigen Ehrbegriff) / ehr|puss|lig vgl. ehrpusselig
· jun|gen (Junge werfen)
· Darüber hinaus findet man im Duden andere "seltsame" aus dem Arabischen oder sonst irgendwelchen exotischen Sprachen entlehnte und offenbar bereits eingedeutschte Wörter (z. B. Iman, Bey, Bong), die ich spontan gar nicht als deutsche Wörter eingestuft hätte.
Und hier einige gute Beispiele für meines Wissens heute sehr häufig gebrauchte Wörter, die trotzdem nicht im aktuellen Rechtschreib-Duden stehen:
· mint, mintgrün
· Ehrenwache
· Ölfeld
· quotal (häufig vorkommender fachsprachlicher Terminus aus der Sprache der Banker: nach Quoten aufgeteilt)
· Pinyin
· Erdbeerkuchen (während Apfelkuchen im Rechtschreib-Duden steht)
Nun habe ich entdeckt, dass man auf
http://www.duden.de/ueber_duden/index.php?nid=9 etwas zu dieser Frage lesen kann. Unter dem Foto von Dr. Matthias Wermke, dem Leiter der Dudenredaktion, ist zu lesen: „Die Duden-Sprachdatenbank folgt mit ihrem kontinuierlichen Ausbau der Entwicklung unserer Sprache. Parallel dazu halten die von uns erstellten Wörterbücher und Sprachratgeber mit dieser Entwicklung Schritt.”
Ich sage jedoch: Eben nicht! Denn sonst hätten Wörter wie mintgrün, quotal, Ölfeld und Pinyin schon längst aufgenommen werden müssen. Ich kann das, was Sie auf der oben genannten Webseite behaupten, nicht nachvollziehen.
Begründung für meine Kritik, die zugegebenermaßen nicht wissenschaftlich und auch nicht repräsentativ ist und die auch keine korrekte statistische Analyse darstellt, sondern nur Stichprobencharakter hat:
· Die Google-Suche nach Kalkant, Seiten auf Deutsch, ergibt 1460 Treffer, von denen auch gleich ganz oben im Ranking völlig irrelevante Treffer wie gleichnamige Leuchten von IKEA ins Auge fallen, die von den 1460 Treffern natürlich wieder abgezogen werden müssen.
· Die Google-Suche nach ehrpusselig, Seiten auf Deutsch, ergibt 446 Treffer, ehrpusslig ohne e ergibt gerade mal 11 Treffer.
· Die Google-Suche nach outrieren, Seiten auf Deutsch, ergibt magere 690 Treffer.
· Die Google-Suche nach mintgrün, Seiten auf Deutsch, ergibt 98 000 Treffer.
· Die Google-Suche nach Ölfeld, Seiten auf Deutsch, ergibt 87 500 Treffer, Ölfelder im Plural ergibt satte 112 000 Treffer.
· Die Google-Suche nach quotal, Seiten auf Deutsch, ergibt 26 100 Treffer.
· Die Google-Suche nach Pinyin, Seiten auf Deutsch, ergibt satte 119 000 Treffer!
Ein Seminarteilnehmer hat zu diesem Thema Folgendes geschrieben (Zitat):
Liebe ...,
da stimme ich dir völlig zu. So ist es. Die Wörterbücher enthalten nicht alle die heute gebräuchlichen Wörter, obwohl die Verlage dies behaupten. Der Grund ist der, dass es zu teuer ist, völlig überarbeitete neue Ausgaben herzustellen. Die Verlage haben das Geld nicht. Deswegen werden normalerweise ziemlich wenige Veränderungen in den "neuen Ausgaben" gemacht. Der Hauptteil kann ziemlich alt sein.
Ich habe eine Arbeit über Phraseologismen gemacht und da verhält es sich ähnlich mit der Phraseographie. Ich untersuchte u.a. einige Ausgaben von der ZEIT und der Bild-Zeitung nach Phraseologismen und 20 Prozent von den von mir gefundenen Phraseologismen konnte ich nicht im Duden 11 von 2002 finden. Ich habe auch andere Wörterbücher und Quellen benutzt.
Ein anderes in diesem Zusammenhang interessantes (aber positives) Beispiel ist das 2003 erschienene, phraseologische Wörterbuch des Ungarischen. Es ersetzt das frühere von 1967 von Nagy mit 24.000 Stichwörtern. Von diesen 24.000 Stichwörtern wurden nur etwa 2.000 als heute gebräuchlich eingestuft, die anderen waren z.B. veraltet oder dialektal. Das neue Wörterbuch enthält 8.000 Stichwörter, die aus mehreren Jahrgängen führender ungarischer Zeitungen und Zeitschriften kommen.
...
Ich würde mich wirklich sehr über eine Stellungnahme seitens der Duden-Redaktion freuen, nicht zuletzt auch deswegen, weil diese eine interessante Bereicherung unseres sprachwissenschaftlichen Germanistik-Seminars darstellen würde. Außerdem gehe ich davon aus, dass viele Scrabble-Spieler sich genau diese Fragen stellen. Eine Stellungnahme seitens der Duden-Redaktion würde also auch unser Scrabble-Forum (
http://home.pages.at/scrabble/en/index.html) bereichern.
Zusammenfassend möchte ich meine Fragen wiederholen:
· Welche Kriterien liegen zugrunde, wenn Wörter lexikographisch in den Duden aufgenommen werden?
· Welche Kriterien liegen zugrunde, wenn Wörter lexikographisch aus dem Duden eliminiert werden?
· Wie erklären Sie das Fehlen von hochfrequenten Wörtern wie Erdbeerkuchen und Ölfeld im aktuellen Rechtschreib-Duden?
· Wie erklären Sie Duden-Einträge von Wörtern wie Iman (arab.) und Bong (thai), die eigentlich gar keine echten deutschen Wörter zu sein scheinen?
· Bestehen in Bezug auf die Einträge Unterschiede zwischen dem Deutschen Universalwörterbuch und dem Rechtschreib-Duden?
· Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl des Korpus, das der jeweiligen Duden-Ausgabe zugrunde liegt?
· Werden bei dem Korpus sowohl mündliche als auch schriftliche Quellen berücksichtigt?
Mit freundlichen Grüßen, ...