In Farsinchens neu eröffnetem orientalischem "Café اصفهان Isfahan" trifft man sich immer mal gern, um gemütlich über dies und das zu plaudern - auch über solche Dinge, die gar nichts mit Scrabble oder Scrabble3D zu tun haben...
Es gibt so viele interessante Dinge, über die man reden kann: persische Lyrik, persische Aussprache, persische Grammatik, persische Musik, Perserteppiche, persisches Allerlei...
super Idee, dieses Café Isfahan! Ich melde mich gleich als Stammgast an.
Da du Lyrik an erster Stelle der Themen nennst, möchte ich gleich erzählen, wie ich zur persischen Lyrik gekommen bin, obwohl ich bis dahin mit Lyrik so gut wie nichts anfangen konnte. Ich habe vor Jahren das Buch "Die geheime Schrift" von Kader Abdolah gelesen. (Du weißt ja, dass Dechiffrieren seit langem eine Leidenschaft von mir ist.) Dort findet sich auf Seite 112 der Anfang eines Gedichtes von Hafez, das ein alter Mann einem neugeborenen Kind ins Ohr summt, damit Liebe, Wehmut und Sehnsucht nach der Geliebten die ersten Worte sind, die in sein Gehirn eindringen. Dieses Gedicht hat mich (trotz einer Reihe von Druckfehlern) irgendwie verzaubert, und sein Klang tut es immer noch, wenn ich es in Gedanken rezitiere. Ich weiß nicht, ob ich diesen Zauber weitergeben kann, aber ich versuche es (hoffentlich ohne Druckfehler). (x = ch wie in deutsch "ach", q = Kehllaut, ähnlich dem Zäpfchen-r, j = stimmhaftes dsch)
Bolbóli bárge góli xósh-rang dár menqār dāsht vandár ān barg o navā xosh-nālehāye zār dāsht. Góftam-ash dar éyne wásl in nāléh o faryād čist? Goft mā rā jelvéye ma'shuq dar in kār dāsht.
Und hier die in diesem Buch angegebene ungenaue, aber letztlich vielleicht doch sehr treffende Übersetzung:
Im Herbst hatte der Vogel Bolbol ein schönes Blütenblatt im Schnabel. Dabei weinte er. Du hast doch etwas von deiner Geliebten bei dir, sagte man zu ihm, warum weinst du denn so sehr? Dieses Blatt weckt die Erinnerung an sie, sagte Bolbol. Sie ist mir wieder nah.
Ich wusste damals noch nicht, welche zentrale Rolle das Bild von der aussichtslosen Liebe der (männlichen) Nachtigall Bolbol zu der (weiblichen) Rose in der persischen Lyrik hat, aber es war der Beginn einer Entdeckungsreise in ein für mich bis dahin unbekanntes Land, das der Lyrik und Mystik.
Zitat von linhartSuper Idee, dieses Café Isfahan! Ich melde mich gleich als Stammgast an.
Bolbóli bárge góli xósh-rang dár menqār dāsht vandár ān barg o navā xosh-nālehāye zār dāsht. Góftam-ash dar éyne wásl in nāléh o faryād čist? Goft mā rā jelvéye ma'shuq dar in kār dāsht.
Hallo هانس (= Hans)!
Wie schön, dass du diese Idee mit unserem Café gut findest! Naja, es ist doch so: Jetzt, wo unser fliegender Scrabble3D-Perserspielteppich mit Scottys Hilfe so schön weich im Morgenland gelandet ist, müssen wir ja auch irgendwo einkehren, wo es gemütlich ist und wo wir uns mal in Ruhe über alles, was uns diese wundersame Reise mit Scrabble3D beschert, unterhalten können...
Wie schön, dich hier im Café zu unseren Stammgästen zählen zu dürfen!
Pass auf Hans! (in Eile) Die Transkription in all Ehren, aber ich schlage vor, du installierst dir einen frei zugänglichen mp3-Recorder (siehe Zip-Datei im Anhang dieses Postings) auf deinem Rechner und nimmst diese Verse mal auf. Und dann lädst du die mp3-Datei mit deiner Aufnahme als Anhang hoch, damit man sich anhören kann, wie es wirklich klingt! Die Schönheit der Sprache kommt sicher erst dann voll zur Geltung.
Mehr heute Abend! Ich freu mich schon! بوسینخن (= Bussinchen)
Da sieht man wieder, wohin das alles führen kann. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es so etwas überhaupt gibt: einen gratis herunterladbaren mp3-Recorder. Ich muss mich aber erst ein bisschen damit anfreunden. Die erste Testaufnahme ist eindeutig zu leise geworden. Aber es wird schon noch werden ...
Nun habe ich einmal dieses ganze Gedicht aufgenommen. Mit dem Headset-Mikrofon ist das Ergebnis einigermaßen befriedigend geworden. Ich habe bewusst relativ leise gesprochen, weil das mehr meinem Gefühl entspricht. Natürlich wird es sich für einen Persisch-Muttersprachler nicht besonders gut anhören. Vielleicht gelingt es mir einmal, meine Persischlehrerin zu überreden, ein Gedicht für mich ins Mikrophon zu sprechen.
Es gibt auch Tonaufnahmen von Hafez-Gedichten im Internet (aber anscheinend nicht von diesem). Sie entsprechen aber nicht meinem Geschmack. Wer will, kann sie trotzdem anhören: http://hafez.mastaneh.ir/sharh-heravi/ghazal-1/ Zum Abspielen einfach auf den Pfeil neben dem Lautsprecher klicken. Wenn man links oben auf den Schriftzug غزل ۰۰۲- صلاح کار کجا و من خراب کجا klickt, kommt man zum nächsten Gedicht.
Zitat von Johann Wolfgang von GoetheSinnig zwischen beyden Welten Sich zu wiegen laß ich gelten, Also zwischen Ost und westen Sich bewegen sey zum besten!
Lieber Linhart!
Ich bin sehr beeindruckt! Ich finde, deine Rezitation klingt ausgezeichnet! Ich hatte bis jetzt noch nie Persisch gehört; das alles ist absolutes Neuland für mich.
Wo findet man denn dieses Gedicht, das du uns vorliest (in der Gesamtheit, d.h. nicht nur die vier Verse, die du uns transkribiert hast)? Du hattest mir neulich in einer E-Mail Folgendes geschrieben:
Zitat von LinhartWenn du einen Eindruck von den Gedichten des Hafez bekommen willst, dann schau dir am besten ein paar zufällig gewählte Gedichte aus den Übersetzungen (bzw. Nachdichtungen) von Hammer-Purgstall oder Rosenzweig-Schwannau an. Du findest sie auf folgenden Internetseiten: http://www.deutsche-liebeslyrik.de/hafis/hafis.htm http://www.deutsche-liebeslyrik.de/hafis_rs/hafis_rs.htm Rosenzweig-Schwannau ist näher beim Originaltext, und ich bevorzuge ihn deshalb.
Ohne deine Hilfe werde ich da aber nicht fündig, insbesondere auch deshalb nicht, weil keine Suchfunktion auf diesen Webseiten eingebaut ist. Sonst hätte man mal nach Nachtigall und Rose suchen können... Ich würde gern den gesamten Text in der Übersetzung lesen, und, wenn möglich auch in der lateinischen Transkription, damit man deine Rezitation am Originaltext verfolgen kann...
Ich hatte dir auf deine Mail hin geantwortet:
Zitat von Bussinchen in einer Mail an LinhartMan müsste so ein persisches Gedicht tatsächlich mal in der Originalsprache rezitiert hören. Es stimmt, dass Lautung, Rhythmus und solche Sachen in der Übersetzung zwangsläufig verloren gehen, wie gut die Übersetzung auch sein mag... Ich verstehe, warum du dir diese Gedichte selbst auf Persisch rezitierst...
Und nun hast du uns dieses Gedicht sogar hier im Forum vorgetragen! Unglaublich! Jetzt, wo wir damit angefangen haben, finde ich, dass wir dieses Gedicht auch interpretieren sollten... Vielleicht kannst du uns die persische Mystik ein bisschen näherbringen...
Erst durch dich habe ich überhaupt von Hafez erfahren, der offenbar der bedeutendste persische Dichter ist, vielleicht sogar der persische Klassiker schlechthin. So las ich in dem Wikipedia-Artikel auch, dass Goethe in seinem West-östlichen Diwan durch Hafez inspiriert war und auf ihn Bezug nahm (Intertextualität)! Ich wusste auch nicht, dass Hafez bereits im 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gelebt hat...
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Ich habe auch mal auf dem persischen Link, den du genannt hast, zwei, drei Gedichte angehört... Der Klang ist schon speziell. Zum Inhalt kann ich natürlich nichts sagen. Durch die musikalische Untermalung wird man allein durch den Klang der Rezitation in eine andere, eine fremd anmutende, orientalische Welt versetzt...
Es ist so schön, dass ich jemanden gefunden habe, mit dem ich über die Gedichte von Hafez reden kann! Die meisten Leute haben ja kein Verständnis dafür, und auch unter den Persern ist die Liebe zu Hafez oft nur sehr oberflächlich. Sehr beliebt ist es z.B., den "Diwan" von Hafez als Hilfsmittel für Wahrsagerei zu verwenden ("Fāle Hafez"). Dabei schlägt man den Diwan zufällig irgendwo auf und tippt blind auf ein Wort, und dieses Wort wird dann als Hinweis für das zu lösende Problem oder die Zukunftsaussichten verwendet.
Du willst also wohl etwas tiefer in die Materie eindringen. Da musst du zuerst einmal wissen, dass es fast unmöglich ist, Hafez zu übersetzen. Das liegt vor allem daran, dass er typischerweise gleichzeitig in zwei Ebenen spricht. Er benützt dazu absichtlich die Mehrdeutigkeit von Worten. Daher gab es Leute, die in ihm nur den Verherrlicher der Lebenslust sahen, und andere, für die er ein reiner Mystiker ist. Außerdem muss man bei Übersetzungen immer das kulturelle Umfeld, in dem sie entstanden sind, mit berücksichtigen. Daher sehen Übersetzungen aus der Gegenwart ganz anders aus als die aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Trotzdem gibt es natürlich für nicht-Perser zunächst einmal keinen anderen Weg, als sich mit Hilfe von Übersetzungen dem Werk zu nähern. Hier sind die Links zu den Übersetzungen von Hammer-Purgstall und Rosenzweig-Schwannau von "meinem" Gedicht:
Ein paar Worte noch zum Verständnis dieses und ähnlicher Gedichte: Ein zentrales Thema wird durch das Wort "vasl" (2. Vers) angesprochen. vasl bedeutet die Vereinigung der Liebenden, und zwar sowohl im gewöhnlichen Sinne wie im Sinne des Mystikers, d.h. die Vereinigung mit Gott. Viele Gedichte beschreiben den mühevollen Weg des Liebenden ("rāhe eshq", 6. Vers, rāh = Weg, eshq = Liebe), wieder in doppeltem Sinne. Dabei weist Hafez immer wieder darauf hin, dass nicht der von den "Predigern" verkündete orthodoxe Weg zum Ziel führt, sondern vielmehr der, der die Lebenslust einbezieht. Diese Lebenslust wird durch das Wort "mey" charakterisiert, ein poetisches Wort für "Wein". Freilich kann man "mey" auch als Metapher für die mystische Ekstase lesen. "mey" kommt in diesem Gedicht nicht direkt vor, aber im 6. Vers ist vom "xammār", dem Weinhändler die Rede, und zwar davon, dass sogar der als vorbildlich geltende Scheich San'ān einmal seine Mönchskutte beim Weinhändler verpfändet hatte, weil ihm der Wein wichtiger war als sein sprichwörtliches letztes Hemd.
Ich habe jetzt gesehen, dass gerade der von mir angesprochene 6. Vers in den beiden klassischen Übersetzungen besonders entstellt ist, ebenso der 7. Vers. Daher gebe ich hier eine moderne Übersetzung wieder (von Joachim Wohlleben 2003):
Wenn du ein (wahrer) Jünger auf dem Pfad der Liebe bist, verschwende keinen Gedanken an bösen Ruf; Scheich San'ân versetzte seine Kutte im Haus des Weinhändlers.
(Gedenke der) Zeit, da dieser herrliche Derwisch in den Wechselfällen seines Lebensganges das Gottesgedenken des (muslimischen) Rosenkranzes anhand des (christlichen) Gürtelringes zelebrierte.
Aus dem RD: Di|wan, der; -s, -e (veraltend für niedriges Liegesofa; Literaturwiss. [oriental.] Gedichtsammlung); [Goethes] »Westöstlicher Diwan«
Das Wort DIWAN ist mir übrigens beim Wiener Turnier untergekommen, allerdings auf unangenehme Weise. Mein Gegner hatte nämlich DIVAN gelegt, und ich habe es dummerweise nicht angezweifelt und deswegen vermutlich verloren.
2. Auffällig ist das wie ein Ostinato ständig wiederkehrende Wort dāsht (ge/halten) am Ende eines jeden Doppelverses. Das ist kein Zufall. Ich denke, dass dem dāsht eine besondere Bedeutung zukommt. Reimschema: a a - b a - c a - d a - e a - f a - g a - h a
1. Köschke: Ich kenne dieses Wort auch nicht. Im persischen Text steht an dieser Stelle "bāme qasr", das heißt "Dach des Schlosses" oder "Dach des Palastes".
2. Ja, du hast es erfasst! Das ist genau das Reimschema für (alle) Ghaselen. Manchmal ist die Ostinato-Wirkung noch stärker, wenn nämlich der Reim mehrere Silben umfasst. Hier sind die ersten beiden Verse eines solchen Gedichts: (oftād ast = ist gefallen)
Tā sare zolfe to dar daste nasim oftād ast, dele soudāzadeh az qosseh do nim oftād ast. Ceshme jādu`iye to xod eyne savāde sehr ast, likan in hast ke in nosxeh saqim oftād ast.
Übersetzung von Joachim Wohlleben:
Seit deine Haarspitze in die Hand des Westwinds fiel, ist mein leidenschaftliches Herz vor Kummer entzweigefallen. Dein zauberisches Auge ist eigentlich eine Zauberbuch-Kopie, nur ist es so, dass diese Kopie fehlerhaft ausfiel. (Anmerkung: fehlerhaft = krankhaft, schmachtend, also besonders zauberhaft.)
Übersetzungen von Hammer-Purgstall und Rosenzweig-Schwannau:
Noch kämpfe ich mit der Metrik, die ich mithilfe deiner Tonaufnahme aber auf jeden Fall erfassen möchte. Andere machen Kreuzworträtsel oder Soduko, ich hingegen bin so abgehoben, dass ich jetzt auf jeden Fall die Metrik dieser Hafezschen Ghasele knacken möchte.
Ich bin bei den ersten vier Versen so weit gekommen, dass ich glaube, dass es sich um ein siebenhebiges Vermaß handelt. Diese Heptameter scheinen aber nicht aus regelmäßigen Jamben, Trochäen oder Daktylen zu bestehen, sondern ich habe den Eindruck, dass unterschiedliche Versfüße nach dem quantitierenden Prinzip verwendet werden (vgl. z.B. den lateinischen Hexameter).
Jeder zweite Vers endet auf die lange, betonte Silbe dāsht, der grundsätzlich eine lange betonte Silbe vorangeht. Dies verleiht dem Versende ein besonderes Gewicht, einem Spondeus (= zwei Längen hintereinander) vergleichbar. Jedes Versende mit dāsht ist dadurch betont, ist vom Ton her getragen, erhaben, verlangsamt den Rhythmus, lässt Ruhe einkehren.
Ja, so weit bin ich erst mal gekommen.
PS: Hoffentlich können die Leser dieses Postings etwas mit meiner Fachsimpelei anfangen. Bin halt durch mein Lateinstudium etwas vorbelastet...
Mir stellt sich die Frage, inwieweit die Sprache der Hafezschen Ghaselen mit der heutigen Sprache übereinstimmt. Ich gehe davon aus, dass Hafez' Sprache sehr veraltet sein muss, wenn man bedenkt, dass Hafez schon im 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gelebt hat. Wenn wir deutsche Dichtung aus jener Zeit lesen würden, würden wir kaum etwas auf Anhieb verstehen. Was die deutsche Sprache des ausgehenden Spätmittelalters (14. Jahrhundert) betrifft, so handelt es sich noch um Mittelhochdeutsch bzw. das beginnende Frühneuhochdeutsch (wobei solche Einteilungen natürlich willkürlich und die Übergänge fließend sind).
Wie ist es möglich, dass du mit Hafez' Sprache klarkommst, Linhart? Natürlich kannst du die Übersetzungen heranziehen, aber du hattest mir mal geschrieben, dass du die Gedichte auch Wort für Wort analysierst, um deren Sinngehalt voll zu erfassen. Das muss doch recht schwierig sein...