Die Liebe besiegt alles, geben auch wir der Liebe nach!
Diese Worte kommen in den Bucolica von Vergil vor (10, 69). Zumindest der erste Teil „Omnia vincit amor“ dürfte aber ein weitverbreitetes Sprichwort gewesen sein.
Das Lösungwort wird wohl oft mit der Liebe assoziiert. Es ist ein Bingo, der an vier Stellen mit unterschiedlichen Punktezahlen angelegt werden kann.
Mit dem Vergil-Zitat in seinem wunderschönen 34. Aenimga hat mich mein lieber Linhartus Pierius dazu inspiriert, ein Video zu produzieren, in dem ich Vergils 10. Ekloge, also das zehnte Gedicht der Bucolica, rezitiere. Meines Wissens gab es bislang noch kein einziges Video auf Youtube, in dem die 10. Ekloge auf Latein rezitiert wird. Dem wollte ich nun Abhilfe schaffen, da es sich um eine ganz wundervolle Liebeselegie handelt, die allerdings erst dann richtig verständlich wird, wenn man sich ein bisschen damit befasst und versteht, was für eine antike literarische Gattung die Bukolik ist. Von all den Eigennamen, die in dieser Ekloge vorkommen und im antiken Leser Assoziationen hervorrufen, die uns heute leider abhanden gekommen sind, sollte man sich als moderner Leser nicht abschrecken lassen. Mithilfe von Kommentaren und Erklärungen - siehe Gottwein und, weiter unten, die kommentierte Ausgabe von Emil Glaser - ist es auch dem modernen Leser möglich, den Text zu verstehen und in seiner vollen Schönheit zu erfassen...
Der lateinische Text der 10. Ekloge ist auf verschiedenen Webseiten abrufbar:
Die 10. und letzte Ekloge beginnt mit der Vorstellung des Themas: der unglücklichen Liebe des Gallus (sollicitos Galli dicamus amori, V. 6). Diese werde von der ganzen Natur beweint. Menalcas und Apollon erscheinen und der Gott verkündet Gallus, dass seine Geliebte Lycoris einem anderen Soldaten gefolgt sei (tua cura Lycoris | perque nives alium perque horrida castra secuta est, V. 22-23). Pan erinnert ihn außerdem an die Grausamkeit des Liebesgottes Amor. Daraufhin klagt Gallus sein Liebesleiden, wobei er Lycoris trotzdem wünscht, sie möge, während sie mit einem anderen Soldaten davongehe, keinen Schaden nehmen. Er spricht davon, dass er sein Leid in der Natur ertragen wolle. Dennoch wollen weder diese noch Lieder ihm mehr gefallen und er ist verzweifelt, Amors Sinn nicht wandeln zu können. Seine Klage gipfelt in dem Ausspruch Omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori (Amor besiegt alles, also wollen auch wir uns Amor fügen, V. 69). Die Ekloge und damit das Werk endet, indem der Erzähler die Musen bittet, diese Verse für Gallus kostbar zu machen und danach die Ziegen, weil es Abend wird, heimschickt.
Die 10. Ekloge ist in der Landschaft Arkadien verortet, welche sehr abgelegen liegt und deren Einwohner als ein raues Hirtenvolk galten. Doch schon in der Antike wurde die Landschaft zum Ort des Goldenen Zeitalters verklärt, zu einem Ort des Mensch- und Tierfriedens, an dem Menschen, Tiere, Pflanzen und die Götter zusammenkommen - ein Ereignis, das es das letzte Mal bei der Hochzeit von Peleus und Thetis gegeben hatte. In diese Welt kommt nun der unglücklich verliebte Soldat und Dichter Gallus hinein, der sich in der bukolischen Welt überhaupt nicht zurechtfindet. Das liegt daran, dass die Liebe für ihn eine Lebensmacht darstellt, der er sich nicht entziehen kann. Zwar ist die Liebe auch für die Hirten wichtig, bei denen ist sie aber nur ein Punkt unter vielen und das Leben geht auch nach einer erfolglosen Liebe weiter (Vgl. Ekloge 2, V. 73: invenies alium, si te hic fastidit, Alexin). Mit dem berühmten Vers Omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori führt Vergil die Gattung Bukolik außerdem zu einem Ende, da nun das Thema der Elegie explizit angesprochen wird. Aus dieser finden sich in dieser Ekloge schon viele Motive und Topoi, so z.B. das Paraklausithyron, das servitium amoris (Liebe als Sklavendienst) und die dura puella (das hartherzige Mädchen). Aber auch typisch bukolische Elemente wie Selbsttäuschung und ein unzuverlässiger Erzähler kommen ebenfalls vor. Somit steht dieses letzte Gedicht gattungstypisch an der Grenze zwischen Bukolik und Liebeselegie.
Zitat von Gottwein, http://www.gottwein.de/Lat/verg/ecl10.phpDie 10. Ekloge ist Theokr.eid.1 und Theokr.eid.7 verpflichtet. Sie zeigt Gaius Cornelius Gallus als Ziegenhirt in einer einsamen felsigen Gegend Arkadiens in tiefem Schmerz um seine Geliebte Lycoris, die ihn aus Untreue verlassen hat. In den Anfangsversen widmet Vergil seinem geliebten Gallus (wohl seinem Wunsche entsprechend) das Gedicht, das kurz und sein letztes werden soll; aber auch Lycoris wird es lesen (1-8). Er wirft den Naiaden vor, dass sie allein Gallus in seinem Liebesleid nicht beigestanden haben (9-12), während ihm im Gegensatz dazu sogar die unbelebte Natur, Bäume und Felsen, die Herden und ihre Hirten (13-15) und schließlich sogar die Götter Apollon, Silvanus und Pan (21-30) ihre Anteilnahme bekundet und ihn zum Maßhalten in seiner unersättlichen Liebe gemahnt hätten. Dann singt Gallus ein eigenes Lied und beklagt sein Liebesleid: Wäre ihm das Leben und Liebesglück eines arkadischen Hirten vergönnt, so könnte er Trost finden, während die untreue Lycoris ihrem Liebhaber durch Schnee und Eis über die unwirtlichen Alpen folgt. (31-51). Der Wunsch, nach der Art eines Hirten zu leben, die Flöte zu spielen und zu jagen wird zunehmend dringlicher. Doch da wird ihm schlagartig bewusst, dass auch dies keinen Trost und keine Linderung seiner Liebesglut verspricht, ja dass es überhaupt keinen Schutz gegen die Unbilden der Liebe gibt: "Omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori." (62-69). Im Epilog versichert Vergil Gallus seiner liebevollen Wertschätzung (70-77).
P. Vergilius Maro's Bucolica (1876) Author: Virgil; Glaser, Emil Publisher: Halle, Buchhandlung des Waisenhauses Year: 1876
Vergils Bucolica sind in Hexametern verfasst: Hier ist meine metrische Analyse der 10. Ekloge. Die gelben Markierungen heben jeweils die erste lange Silbe im Versfuß hervor. Die deutsche Übersetzung, die ich neben meiner metrischen Analyse zitiere, ist mitsamt den informativen Verlinkungen von Gottwein übernommen. Meine metrische Analyse der 10. Ekloge, die meiner Rezitation zugrunde liegt, gibt es auch unter diesem Beitrag im Datei-Anhang als Word-Datei zum Herunterladen.
Besonders kunstvoll ist m.E. die Verschachtelung der Handlungsebenen der 10. Ekloge. Den Rahmen (also den Anfang und das Ende der Ekloge) bildet das Dichten Vergils, der ein bukolisches Gedicht für seinen Freund Gallus schreiben will und deshalb die Musen um Unterstützung bittet. Vergil versetzt sich selbst ebenfalls in die idylische und idealisierte Landschaft Arkadiens mit seiner friedvollen bukolischen Atmosphäre, von der sich Gallus Trost, Zerstreuung, Ablenkung von seinem Liebeskummer und Erlangung des Seelenfriedens erhofft. Die Haupthandlung der 10. Ekloge ist jedoch die Klage des Gallus, der wegen seiner enttäuschten Liebe verzweifelt ist und versucht, über das Aufgehen in der Schäferidylle seelisch zur Ruhe zu kommen, was ihm aber nicht gelingt, weil Amor kein Erbarmen hat. Genau genommen ist die Haupthandlung der 10. Ekloge eine Liebeselegie, die eingebettet ist in Bukolik. Der liebeskranke Gallus muss erkennen, dass es keinen Sinn hat zu versuchen, seinen Liebeskummer in der pastoralen Idylle Arkadiens zu vergessen. Diese Erkenntnis drückt der berühmte Vers 69 aus, in dem die Haupthandlung kulminiert und den unser lieber Linhart als Brettkonstellation für das 34. lateinische Scrabble-Aenigma gewählt hatte: Omnia | uincit A|mor: et | nos ce|damus A|mori. (Liebe besieget die Welt: auch uns lasst weichen der Liebe!")
Nach der Aufgewühltheit, die sich im Laufe des Gedichts immer mehr steigert und im Vers 69 - wo Gallus resigniert, weil er erkennt, dass es sinnlos ist, gegen Amor anzukämpfen - den Höhepunkt erreicht, kehrt wieder die idyllische Ruhe der Rahmenhandlung ein. Der Dichter Vergil sitzt in bukolischer Idylle, flicht ein Körbchen, bekundet seinem Freund Gallus tiefste Zuneigung, fleht die Musen abermals um Beistand für das Gelingen seiner Dichtung an - dem armen Gallus zuliebe. Doch der Abend naht und es ist allmählich Zeit, mit den Zicklein nach Hause zu gehen. Die Ekloge endet damit, dass alle aufbrechen und sich auf den Heimweg machen.
Für mein Video suchte ich nach einer passenden Musikuntermalung. Mir schwebte Musik im antiken Stil vor, doch leider fand ich nichts Passendes auf den einschlägigen Seiten, wo man gebührenfreie (d.h. Royalty Free), kostenlose, unter der Lizenz Creative Commons verfügbare Musik herunterladen kann. Stattdessen wurde ich auf folgende Webseite aufmerksam:
Michael Levy spielt Lyra im antiken Stil und hat schon eine ganze Reihe Alben herausgegeben, die man u.a. bei Amazon.de kaufen kann. Er versucht auf diese Weise, die verloren gegangene Musik der Antike, d.h. die Musik von Griechenland und Rom, wieder aufleben zu lassen. Wer sich für so etwas interessiert, sollte sich unbedingt mal das eine oder andere von Michael Levys zahlreichen Videos auf Youtube ansehen. Ich empfehle dies wärmstens!
Da mir diese Musik für meine Zwecke optimal erschien, schrieb ich Michael Levy kurzerhand an und fragte ihn, ob er mir die Erlaubnis geben würde, meine Vergil-Rezitation mit seiner Lyra-Musik zu untermalen. Er antwortete mir umgehend und war gleich ganz angetan von meiner Idee. Freundlicherweise gab er mir die Erlaubnis, seine Lyra-Musik für meine "lateinischen Zwecke" zu verwenden, und das völlig kostenlos. Er gestattete mir sogar, seine Weisen mit dem Programm Audacity, das ich für Tonaufnahmen verwende, zu bearbeiten und abzuändern bzw. anzupassen, sodass die Musik zu meiner Rezitation passt. Ich musste die Melodie, die ich gewählt hatte, tatsächlich bearbeiten - vor allem schneiden, z.B. Takte mittels Kopieren und Einfügen vervielfältigen, um die Länge der Melodie an die Rezitation der 10. Ekloge anzupassen.
Für meine Zwecke erschien mir ein etwas rhythmischeres Stück passend, denn dadurch ließ sich, zumindest streckenweise, der Rhythmus der Hexameter etwas besser herausarbeiten. Es handelt sich um Track Nr. 4. My Heart Was Burnt By Love (Traditional Egyptian Folk Song) von Michael Levys CD An Ancient Lyre. Siehe hierzu auch http://www.ancientlyre.com/publicfiles/A...SERT_NOTES1.pdf
Ruhige, entspannende Lyra-Musik passt m.E. hervorragend zur pastoralen Idylle der Bukolik. Der angenehme Klang der Lyra ähnelt dem von Harfen. In Vergils 10. Ekloge erscheint dem liebeskranken und verzweifelten Gallus der Gott Apollo, der versucht, ihm zu erklären, dass es sinnlos ist, seiner Geliebten, die mit einem anderen Mann nach Norden gezogen ist, nachzuweinen:
... | Venit A|pollo: "Galle, quid | insa|nis?" in|quit; "tua | cura Ly|coris perque ni|ues ali|um per|que horrida | castra se|cuta est." ----------------------------------------------------------- (Apollo erschien selbst: "Gallus, was rasest du?" spricht er. "Lycoris, die du ersehnest, Führt' ein anderer weg durch Schnee und schaurige Lager.")
Apollo als der Gott der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs wurde häufig mit einer Lyra oder Kithara dargestellt. Auch dies ist u.a. ein Grund, warum ich gerade Lyra-Klänge zur musikalischen Untermalung meiner Vergil-Rezitation für besonders passend halte.
Ich lade jetzt mein Video auf Youtube hoch und werde es in meinem nächsten Beitrag hier im Forum einbinden.