Es gibt eine Gruppe von Adjektiven, für die man normalerweise eine Steigerbarkeit verneinen würde, wie beispielsweise für ledig, kinderlos, schwanger oder lebendig. Aber unsere Sprache lässt sich nicht immer so einfach in eine Schublade stecken, denn manchmal ist eine auf den ersten Blick zu verneinende Steigerung doch möglich, wenn man sie in einem übertragenen Sinn bzw. in einem weiteren Kontext gebraucht.
Der Grammatikduden führt hierzu unter der Ziffer 508 u.a. folgende Beispiele auf:
Das Kino ist heute noch leerer als gestern. In den stillsten Stunden der Nacht. Sie strebte eine lebendigere Darstellung an.
Apropos lebendig: Wie ist das Adjektiv tot als Antonym von lebendig zu behandeln?
Das große (Duden-)Wörterbuch der deutschen Sprache führt unter dem Stichwort tot u.a. folgendes aus:
... Es gibt nichts was toter sein könnte als ein toter Filmschauspieler (Spiegel 14, 1978, 108); ... Die Ergänzungsabgabe ist tot, töter geht es nicht (Welt 19. 8. 81, 1);
Canoonet erlaubt die Steigerung von tot. Ich selbst fand noch folgendes Beispiel:
auch der toteste Ort der Welt lebt, denn überall auf Erden hat sich das Leben ausgebreitet (gefunden Spiegel.de)
Trotz alledem ist mir nicht ganz wohl dabei, hier eine Steigerung zuzulassen. Weiter stellt sich die Frage, ob man tot auch mit töter steigern darf oder ob es sich hier um eine zum Adverb erstarrte (scherzhafte) Ableitung handelt.
Eure Meinung würde interessieren.
Gero
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Ich hab ja schon einmal im ORZ-Ausschuss folgende Stelle aus Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt" zitiert, wo "toteste" vorkommt:
Zitat Bonpland legte ihm die Hand auf die Schulter. Der Hund sei verdammt noch einmal tot! Vollkommen tot, sagte Julio. Ganz und gar hinüber, sagte Mario. Das sei sagte Carlos, gewissermaßen der toteste Hund aller Zeiten.
Damals habe ich gar nicht bemerkt, dass auch im Großen Duden "tot" gesteigert wird.
Mir fällt auf, dass im Online-Duden keine Beispiele für die Steigerung von "tot" angeführt sind. Hat sich also die Einstellung von Duden geändert?
Ich hab zur Steigerung von tot Dr. Bopp von Canoonet angeschrieben, der mir taggleich (!) antwortete. Ein toller Service!
Hier seine Antwort:
Sehr geehrter Herr <Gero> die Frage nach der Steigerung der sogenannten "absoluten" Adjektive wird recht häufig gestellt. Ich erlaube mir hier deshalb, statt einer ausführlichen Erklärung zwei Hinweise auf Seiten von Canoo.net zu anzugeben:
Steigerungsformen kommen also auch bei "absoluten" Adjektiven vor, wenn sie in einem übertragenen Sinne oder bewusst verstärkend verwendet werden. Sie haben natürlich Recht, dass "tot" in seiner Grundbedeutung ein absolutes Adjektiv ist, das nicht gesteigert werden kann. Wir gehen aber wie gesagt davon aus, dass "absolute" Adjektive dann gesteigert werden können, wenn sie gefühlsmäßig verstärkend oder in übertragenem Sinne verwendet werden. Hier noch ein paar (Internet-)Zitate:
- Vor dreißig Jahren hat ein Toter einem noch Toteren die Hand in den Hosenstall gesteckt. (Anne Enright, "Das Familientreffen", übersetzt von Hans-Christian Oeser)
- Auf dem Schiff werden uns wilde Geschichten von toten Schiffspassagieren auf dem Grund des Königssees und noch toteren Bergsteigern in der Ostwand erzählt.
- Ich habe Lebende gesehen, die einen toteren Eindruck gemacht haben als du.
- man spricht heutigentages übrigens gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert (Hegel, "Grundlinien der Philosophie des Rechts", 3. Teil, 2. Abschnitt, B, a)
- Den Rest des Jahres herrscht kulturell toteste Hose.
- Irgendwann müssen Menschen begriffen haben, dass aus dem totesten Material, das wir uns denken können, aus toten Steinen, lebendiges flammendes Feuer zu gewinnen war, indem man sie aneinanderschlug, bis der Funke sprühte. (Aus einer Predigt zur Karwoche)
Wenn es "toter" nicht geben dürfte, wäre dann nicht auch die Wendung "mehr tot als lebendig" eine unzulässige Vergleichsform?
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Bopp
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Dann gibt es vermutlich auch eine "deutscheste Stadt" oder so etwas - Grenzziehung wirklich nicht mer ernst hat möglich ...
Und "optimalste" ist für mich wirklich jenseits aller Grenzen - sonst sollten wir auch "besteste" zulassen, wobei Konstruktionen wie "bestmöglichste" sich auch zum (gruseligen) Sprachgebrauch gehören.
bei solchen Steigerungen hat wohl jeder seine individuelle Schmerzgrenze ... meine Schmerzgrenze endet beispielsweise bei ident(isch)...
Interessanterweise ist der GD in seiner aktuellen Ausgabe vor allem im Vergleich zur vorangegangenen Auflage hier nachsichtiger geworden und erkennt unter Ziffer 508 zumindest die umgangssprachliche Steigerung an. Interessanterweise werden hier OPTIMAL und IDEAL im gleichen Atemzug genannt! Nachdem die Steigerung von ideal offiziell gültig ist, führt an der Steigerung von optimal wohl kein Weg vorbei. Schön ist sicherlich aber etwas anderes.
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Weiß jemand von euch noch, warum IDENT offiziell gesteigert werden kann? Möglicherweise bin ich sogar selber mit schuld, aber ich kann mich nicht mehr erinnern und finde auch nichts dazu. Momentan kommt es mir jedenfalls völlig absurd vor.
BES. ÖSTERR. FÜR IDENTISCH - DIE STEIGERUNG VON IDENTISCH / IDENT IST PROBLEMATISCH
Interessanterweise führt Duden online bei ident alle Flexionen im Positiv auf, gibt aber keine Steigerungsformen an. Canoonet lässt die Steigerungen zu. Es ist eine Grauzone. Immerhin finden sich Belege für eine Steigerung wie: Das ist der schönste, berührendste und identischste Weihnachtsfilm, den ich je gesehen habe!
Hier wird identisch in einer übertragenen Bedeutung im Sinne von wahrhaftig verwendet und ich würde dies noch tolerieren wollen. "In dubio pro reo", wie der Lateiner zu sagen pflegt.
Nebenbei bemerkt auch ein Beispiel dafür, dass Partizipformen (hier berührend) durchaus steigerbar sein können, was auch durchs offizielle Reglement gedeckt wird.
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Die Bedeutung "wahrhaftig" ist mir fremd, und ich glaube sogar, dass sie sprachlich nicht korrekt ist.
Im UD/GWD steht aber auch die Bedeutung "innerlich übereinstimmend, wesensgleich", und da gibt es einen Beispielsatz, der zeigt, dass das in höherem oder geringeren Maße vorliegen kann: