Es kommt oft vor, dass bei einem Verb keine Perfektformen angegeben sind, ohne dass explizit "no perf." steht. Beispiel:
* ē-gigno, ĕre, to procreate, produce, bring forth : et altos interdum ramos egigni corpore vivo, Lucr. 2, 703 Lachm. N. cr.
Bei solchen Verben wie egigno sind in der Spellcheckerliste aber die Perfektformen angeführt. Es könnte daher sein, dass sie in L&S nur nicht stehen, weil es für selbstverständlich gehalten wird, dass das Perfekt wie beim Grundverb gebildet wird.
Andererseits gibt es auch Verben ohne Vorsilben, bei denen kein Perfekt angeführt wird, aber auch nicht "no perf." steht:
pīgrĕo, ēre, v. n. [id.], I. to be slow, sluggish, reluctant (ante-class.): post aetate pigret sufferre laborem, Enn. ap. Non. 219, 12 (Ann. v. 405 Vahl.): omnes gaudent facere recte, male pigrent, Att. ap. Non. 14.
Bei vielen mit Vorsilben versehenen Verben sind die Perfektformen aber angeführt, z.B.:
ē-lăbōro, āvi, ātum, 1, v. n. and a. I. Neutr., to labor, endeavor, exert one's self, take pains either successfully or perseveringly ...
Es scheint so zu sein, dass die Perfektformen bei Verben mit Vorsilben vor allem dann nicht angeführt sind, wenn es sich um Hapax legomena handelt. (Das kann ich aber nicht automatisch überprüfen, weil die entsprechenden Sterne (*) nicht in meiner Datenbank stehen.)
Jedenfalls tendiere ich dazu, die Perfektformen nur dann als gültig anzuerkennen, wenn sie ausdrücklich angeführt sind. Was meinst du dazu, Bussinchen?
Hier ist ein Beispiel, wo zwar keine Perfektform direkt angegeben ist, aber unter den Literaturzitaten trotzdem eine solche auftritt:
Zitat di-sterno, ĕre, v. a., to spread out : lectum, i.e. to make, prepare, App. M. 10, p. 256, 7.— Impers. : extra limen pueris distratum fuerat, id. ib. 2, p. 121, 25.
Besonders irritiert mich hier, dass es sich nicht um ein Hapax Leg. oder Ähnliches handelt.
Ich habe jetzt die Perfektformen basierend auf distravi und distratum aufgenommen, weiß aber noch nicht, wie ich mit diesem Problem allgemein umgehen soll.
Nebenbemerkung: Ich habe den Eintrag aus Glossa nachbearbeitet, weil er nur schwer lesbar war. Z.B. war "makeprepare" zusammengeschrieben, "i.e." fehlte, und dergleichen mehr.
An sich hatte ich mir auch gedacht, dass wir uns strikt ans L&S halten sollten: Stehen keine Perfektformen oder kein Partizip Perfekt dabei, dann sind diese Formen wohl nicht belegt und sollten daher auch nicht ins latin.dic aufgenommen werden. Das wäre wohl auch am einfachsten zu handhaben gewesen.
Aber nun der Fall disterno, disternere! Das ist ja ganz ganz übel! Was soll man dazu sagen?! Aber irgendeine Entscheidung müssen wir ja wohl oder übel treffen!
Oder sollten wir in Fällen wie dem von disterno, disternere nur den Präsensstamm einpflegen und als Einzelform dann noch distratum, aber eben nicht die davon abgeleitenen Beugungsformen distrati, distrato, distrate, distrata, distratae usw.?
Das Dilemma ist, dass wir auch konsequent in der Handhabung sein müssen.
Es sieht mir ganz danach aus, dass wir eine neue Grundsatzentscheidung brauchen!
Bevor wir eine Grundsatzentscheidung treffen, möchte ich noch versuchen, weitere Beispiele zu finden.
Hier ist eines, wo bei den Zitaten zwei aktive Perfektformen auftreten:
Zitat von L&Sad-vīvo, ĕre, v. n. I. To live with one; joined with cum by pleonasm: CONIVGI DVLCISSIMO CVM QVO ADVIXIT SINE QVERELA PER ANNOS XX., Inscr. Grut. 1145, 8; 1115, 8 (Orell. 3094).— II. To live, with the access. idea of continuance, to live on, to continue living : dum adviveret, Vulg. Josh. 4, 14: donec advivet, Dig. 34, 3, 28: quamdiu advixerit, ib. 3, 4, 4; 30.
Zum Vergleich: Georges gibt die Perfektform an, aber ohne ein Beispiel explizit zu zitieren:
Zitat von Georges 1913ad-vīvo, vīxī, ere, das Leben fortsetzen, fortleben, am Leben bleiben, Corp. inscr. Lat. 6, 17297 u. 6, 28005. Scaev. dig. 34, 3, 28. § 5. u. 34, 4, 3. § 30. Stat. Theb. 12, 424. Capit. Anton. Pius 5, 1. Tert. de anim. 57. Vulg. Ios. 4, 14: m. Dat., dic mihi, omnibus natis mater advivit? Tert. adv. Marc. 4, 19: cuius imperii annis vix potest advivi, Vopisc. Prob. 22, 4.
Vielleicht sollten wir dann doch so verfahren, wie du im Beitrag #3 geschrieben hattest, nämlich dass wir die nicht angegebenen Perfektformen der Komposita analog zu dem Grundverb (= dem Verbum simplex) immer dann einpflegen, wenn in den Beispielen aus der Literatur oder Inschriften doch mindestens eine Perfekt- oder Partizipform angegeben ist. So hast du es ja bei disterno gemacht, und jetzt, nachdem du das Beispiel advivo mit sogar zwei Belegen für Formen des Perfektstammes angeführt hast, erscheint mir diese Vorgehensweise doch nicht so schlecht.
Bei dem obigen Beispiel advivo ist allerdings kein PPP bzw. Supinum angegeben (weder in L&S noch im Georges). In solchen Fällen würde ich nur die Formen aufnehmen, die sich von der 1. Person Singular des aktiven Perfekts ableiten lassen.
Im Zweifelsfall ist es wohl am besten, wenn wir uns nach dem Georges richten.